Berlin
"Unzureichende Kontrolle"

BND-Chef Schindler räumt Fehler in der Spähaffäre ein – Weiteres Vorgehen zur Aufklärung immer noch unklar

22.05.2015 | Stand 02.12.2020, 21:16 Uhr

Berlin (DK) Am Tag danach fallen die Reaktionen heftig aus. Bis spät in die Nacht zum Freitag hatte BND-Präsident Gerhard Schindler (Bild) den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss des Bundestages Rede und Antwort gestanden. Beim Präsidenten von Deutschlands Auslandsgeheimdienst mischen sich Demut und Problembewusstsein mit der Entschlossenheit, die Zusammenarbeit mit dem US-Nachrichtendienst nicht zu gefährden. Er räumt Fehler ein, „unzureichende Kontrolle“, wie es der 62-jährige formuliert. Selbst will er erst im März 2015 von der Liste mit verdächtigen Suchbegriffen der Amerikaner – etwa E-Mail-Adressen oder Handynummern – erfahren haben. Dabei waren seine Mitarbeiter bereits 2013 auf diese „Selektoren“ gestoßen – als das Thema NSA im Bundestagswahlkampf nach den Enthüllungen von Edward Snowden hohe Wellen schlug. „Die Überprüfung der Selektoren war von Anfang an unzureichend“, blickt der BND-Chef zurück.

Die lange Nacht mit Schindlers „Geständnis“ sorgt auch gestern noch für jede Menge Gesprächsstoff in Berlin. Ausschusschef Patrick Sensburg zieht jedenfalls eine bemerkenswerte Bilanz der Zeugenvernehmung. „Man hat, sagen wir mal, sich so durchgewurschtelt“, so der CDU-Politiker. Das gesamte System sei nie hinterfragt worden. Offenbar hatten die BND-Beamten sehr wohl versucht, vor der Einspeisung ins eigene Spionagesystem E-Mail-Adressen und Telefonnummern aus Deutschland aus den Listen der Amerikaner herauszufiltern. Europäische Spähziele außerhalb der deutschen Gesetzeslage seien aber nicht herausgeholt worden, führte der Zeuge im Ausschuss aus. Dass die Probleme nicht nach oben gemeldet worden seien, habe möglicherweise etwas mit den Strukturen beim Bundesnachrichtendienst zu tun. Der BND-Chef erst viel zu spät von seinen Mitarbeitern informiert, dazu die unzureichende Kontrolle – allmählich wird es eng für Schindler.

Die Frage des weiteren Vorgehens bei der Aufklärung der Affäre blieb gestern weiter ungeklärt. Noch läuft das Konsultationsverfahren mit der amerikanischen Regierung über eine mögliche Freigabe der einschlägigen Akten. In Koalitionskreisen wird mit einer Entscheidung wohl erst in der nächsten Sitzungswoche gerechnet. Im Kanzleramt lässt man sich Zeit mit der Entscheidung, will offenbar ein Zerwürfnis mit der US-Seite unbedingt verhindern. Am Mittwoch hatte der geheim tagende Bundessicherheitsrat über den Fall beraten. Nachdem SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Wochenbeginn vor Unterwürfigkeit gegenüber den Amerikanern gewarnt hatte, werden jetzt leisere Töne angeschlagen. Erst wenn die Listen ausgewertet sind und geklärt ist, ob sie Belege für Wirtschaftsspionage liefern, wird sich zeigen, ob sich der Fall tatsächlich als „Staatsaffäre“ entpuppt. Diesen Begriff hatte Gabriel zuletzt in einem Interview verwendet. Die SPD favorisiert weiter die Einsetzung eines Sonderermittlers durch den Bundestag, der Einblick in die Unterlagen nehmen könnte. Das Kanzleramt warte aber auch dazu noch auf ein Votum aus Washington ab, heißt es in Berlin. Eindringlich warnt BND-Chef Schindler vor einem Schaden für die Geheimdienstkooperation: „In Europa planen Dienste schon ohne den BND, das bereitet mir große Sorgen.“

Foto: Fischer/dpa