Eichstätt
Unschuldig hingerichtet

Vor 400 Jahren erreicht die Hexenverfolgung in Eichstätt ihren Höhepunkt

23.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:05 Uhr
  −Foto: Protokoll aus dem Staatsarchiv Nürnberg/ Stadtansicht von Matthäus Merian 1627, Reprint in der Willibaldsburg

Eichstätt - Kunigunde Sterzl sitzt unschuldig in Haft.

Immer und immer wieder betont die Eichstätterin ihre Unschuld, fleht um Gnade. Wochenlang wird Sterzl verhört, an drei Tagen sogar gefoltert. Schließlich versagen Sterzls Kräfte, sie legt ein Geständnis ab - damit ist ihr Tod sicher. Kunigunde Sterzl wird am 18. Juli 1620 enthauptet, zusammen mit drei weiteren Frauen, die genau wie sie der Hexenverfolgung in Eichstätt zum Opfer fallen.

Vier Jahrhunderte später kämpft Heinrich Stürzl, ein Nachkomme von Kunigunde Sterzl, um Gerechtigkeit. Gerechtigkeit nicht nur für Kunigunde, sondern für alle rund 250 Opfer, die in Eichstätt als Hexen ermordet wurden.

Dass Stürzl von dem grausamen Schicksal seiner Vorfahrin erfährt, ist einem Zufall geschuldet; und einer gehörigen Portion Neugierde. 2005 beginnt der Marburger über seine Vorfahren zu forschen. Eine Familienchronik bis Anfang des 19. Jahrhunderts existiert zu diesem Zeitpunkt schon, doch viel mehr als die Namen seiner Vorfahren kennt Stürzl nicht. Also sucht er nach Informationen, will das familiäre Milieu seiner Ahnen herausfinden. "Plötzlich wurde ich vom Virus der Ahnenforschung gepackt", sagt Stürzl. Immer tiefer versinkt er in der Vergangenheit, erfährt von seinem Urgroßvater, der 1890 bei einem Verkehrsunfall bei Lenting ums Leben kam. Ein Zeitungsbericht von damals berichtet von dem Mann, der von seinem Fuhrwagen überrollt wurde, weil er vergaß, bei einer hohen Steigung den Hemmschuh an das Rad zu legen. Das Schicksal seines Urgroßvaters berührt Stürzl sehr, mit immer größerem Eifer beginnt er, in der Vergangenheit zu wühlen. Bis ins Jahr 1591 dringt er vor. Der damals geborene Ägidius Sterzl, ein Bauer in Böhming, ist sein ältester nachweisbarer Vorfahre.

Stürzl arbeitet mit dem Internet, mit Kirchenbüchern, doch irgendwann erreicht er einen toten Punkt. "Über die mir zugänglichen Quellen bin ich nicht mehr weitergekommen, also wandte ich mich an einen Familienforscher", erinnert sich Stürzl. 2012 durchforstet dieser Forscher das Staatsarchiv in Nürnberg, sein Kunde ahnt nicht, was sich in den dortigen Prozessakten aus Eichstätt verbirgt. "Es war ein Schock, als ich von Kunigunde erfuhr", gibt Stürzl zu, er habe nie damit gerechnet, detailliert davon zu lesen, wie einer seiner Vorfahrinnen der Hexenprozess gemacht wurde - und das in derart eindrücklicher Deutlichkeit. "Ihr Prozessprotokoll ist vollständig erhalten, 60 Seiten, die von jedem Detail ihrer Befragung, ihrer Folter, ihrer Hinrichtung erzählen. "

Nicht nur Heinrich Stürzl, auch andere Familienmitglieder sind tief betroffen von dem grausamen Schicksal der Vorfahrin. "Natürlich wusste jeder, dass es die Hexenverfolgungen gab, aber wenn es die eigenen Vorfahren betrifft, auch wenn die Ereignisse 400 Jahre zurückliegen, bekommt alles plötzlich eine andere Intensität, die Schicksale von damals einen Namen, der von jetzt an für immer mit unserer Familie verbunden sein wird. "

17 Personen in Kunigundes Umfeld zeigen die damals 76-Jährige vor Gericht an, Kunigunde wird verhaftet und im Eichstätter Rathaus inhaftiert. Unter Folter gesteht sie, sich mit dem Teufel eingelassen zu haben und durch schwarzes Pulver den Tod einiger Eichstätter Bürger herbeigeführt zu haben. Immer wieder wird sie in die Folterkammer gebracht, soll die Namen anderer Hexen gestehen, Kunigunde nennt 59 weitere Personen, die sich ebenfalls mit dem Teufel verbündet haben sollen. Wessen Name genannt wurde, dessen Todesurteil war gesprochen, so wie bei Kunigunde.

Gerade in Eichstätt ist die Zahl der Opfer der Hexenverfolgung auffällig hoch. Warum hier so viele Frauen und auch einige Männer zu Tode gekommen sind, fragt sich auch irgendwann Heinrich Stürzl. "Es war eine furchtbare Zeit, die Angst vor Hexen, die im Volk gestreut wurde, war groß", sagt Stürzl, doch ob dies in massenhafte Verfolgungen ausartete, lag vor allem an den regierenden Personen. 1612 kommt in Eichstätt Fürstbischof Johann Christoph von Westerstetten an die Macht. Er scheint die Verfolgungen regelrecht voranzutreiben, unter ihm explodieren die Zahlen der Hinrichtungen. Während man in Ingolstadt eher bremste, stand wohl in Eichstätt zum Höhepunkt der Verfolgungen fast jeder Bürger unter Generalverdacht.

Knapp 400 Jahre später steht Heinrich Stürzl an dem Ort in Eichstätt, wo seine Vorfahrin ermordet wurde, und betrachtet nachdenklich das dort aufgestellte Hexendenkmal. "Ich finde es gut, dass ein Denkmal aufgestellt wurde, würde mir aber wünschen, dass es nicht so allgemein gehalten ist. " Stürzl nahm 2018 an dem Symposium "Hexenverfolgung im Bistum Eichstätt" teil, bei dem auch Bischof Gregor Maria Hanke eine "späte Gerechtigkeit" für die Opfer forderte. Für Stürzl gehört dazu, dass sich sowohl die Stadt Eichstätt als auch das Bistum von den Hexenprozessen in ihrem früheren Verantwortungsbereich offiziell und öffentlichkeitswirksam distanziert und die Opfer posthum rehabilitiert, am besten mit einer Gedenktafel am Rathaus mit den Namen aller Opfer. Für die wissenschaftliche Aufarbeitung wünscht er sich ein interdisziplinäres Forschungsprojekt aus Historikern, Juristen und Soziologen, das das gesamte Ausmaß der Verfolgung im Hochstift Eichstätt untersucht und all die noch vorhandenen Prozessakten systematisch auswertet und vergleicht. "Was in Eichstätt passiert ist, ist natürlich kein Einzelfall, aber andere Städte nutzen diese traurigen Jubiläen, um eine breite Erinnerungskultur ins Leben zu rufen, sei es durch Vorträge, Stadtführungen, Ausstellungen oder auch künstlerische Darstellungen. "

HK

Anna Hecker