Ingolstadt
Und überall grüßt Frankenstein

Die Stadtführungen nehmen heuer Bezug auf den weltberühmten Roman, der vor 200 Jahren erschienen ist

02.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:48 Uhr
In der Alten Anatomie wurden einst Leichen seziert, erklärt Stadtführer Helmut Fertsch. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Auch bei den Stadtführungen hinterlässt Frankenstein seine Spuren. Passend zum Jubiläumsjahr gibt es heuer für jeden Teilnehmer die ,Monster-Pille?: Zum Ungeheuer ist beim Auftakt der Rundgänge am Wochenende wegen des Bonbons aber keiner geworden.

Am liebsten waren den Medizinern der alten Landesuniversität unter allen Hingerichteten die Geköpften. Denn deren Körper waren am wenigsten verstümmelt, was für die Leichenöffnungen von Vorteil war. Doch bevor Helmut Fertsch bei seinem Rundgang durch die Altstadt an der Alten Anatomie angekommen ist, klärt er die Teilnehmer erst mal auf: "Das ist im Grunde eine ganz normale Stadtführung, bei der heuer speziell auf Frankenstein eingegangen wird." Mit den abendlichen Frankenstein-Mystery-Touren hat sein Streifzug durch die Geschichte der Schanz nichts zu tun. Das hatte freilich auch keiner der Teilnehmer an diesem Samstagnachmittag erwartet. Die sind bis aus Ost-Westfalen gekommen, um Ingolstadt kennenzulernen, wie ein Gast erzählt, der speziell an der alten Bayerischen Landesfestung interessiert ist. Doch auch waschechte Schanzer sind anzutreffen. "Über die eigene Stadt weiß man ja oft am wenigsten", erzählt eine junge Frau, die an diesem Nachmittag Zeit hat und mit ihrer Freundin gekommen ist. Den vor genau 200 Jahren erschienenen Roman "Frankenstein" hat sie vor Jahren mal in der Schule gelesen, mehr nicht.

Stadtführer Fertsch stimmt das aufmerksame Publikum derweil auf die Führung ein und schildert die Ereignisse der Jahre 1815/16, den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien, das darauf folgende "Jahr ohne Sommer" und die stürmische Nacht in der Villa Diodati am Genfer See, als der Roman entstand. Im Laufe der Rundgangs durch die Altstadt wird er immer wieder Bezüge zu Frankenstein knüpfen. So etwa am Ende der Dollstraße, wo die Gruppe mittlerweile angelangt ist und wo der erfahrene Stadtführer seinen Gästen das Gasthaus Daniel vorstellt. Dort, in der ältesten Wirtschaft Ingolstadts, soll Frankenstein angeblich gesessen haben.

Das ist freilich nur eine nette Geschichte, genauso wie das Medizinstudium Victor Frankensteins an der Bayerischen Landesuniversität. Denn als der Roman erschien, war die längst von Ingolstadt nach Landshut verlegt worden. Doch der Ruf der Uni und speziell des Experimentiergebäudes Alte Anatomie sowie wohl des Geheimbunds der Illuminaten dürften Mary Shelley zu ihrem Roman inspiriert haben.

Auf jeden Fall ist der Sitz der früheren Landesuniversität, die Hohe Schule, die nächste Station des Stadtrundgangs. Passend zum Frankenstein-Jahr dürfen die Besucher einen Blick in den Freskensaal dieses mächtigen Profanbaus aus dem 15. Jahrhundert werfen. Dort, wo einmal Ingolstadts erste Nichtraucherkneipe war, wurden bei Renovierungsarbeiten im Jahr 1924 Fresken entdeckt, die die Fachleute in die Zeit um 1480 datieren. "Unklar ist, ob hier früher mal eine Bibliothek oder ein Hörsaal für die Mediziner war", erklärt Fertsch seinen Zuhörern. Zu sehen ist die Erweckung des Jünglings Hippolytos, ein antiker Schöpfungsmythos. Dessen mit Pferden bespannter Wagen war von einem Seeungeheuer zerschmettert worden. Der Legende nach wurde er zu Äskulap, dem Begründer der Heilkunst gebracht. Mit dem Blut der Medusa (eine Gorgonin, die so schrecklich aussah, dass bei ihrem Anblick jeder zu Stein erstarrte), erweckte er ihn wieder zum Leben.

Nächste Stationen der Stadtführung sind der um 1390 erbaute Taschenturm, der zeitweise als Gefängnis diente, und natürlich die Alte Anatomie. In diesem Gebäude hat Frankenstein dem Roman zufolge seine Kreatur zum Leben erweckt. Der heutige Sitz des Deutschen Medizinhistorischen Museums wurde in den Jahren 1723 bis 1736 errichtet, nachdem die Hohe Schule zu klein geworden war. In dem großen Hörsaal mit seinem Deckenfresko haben einst die Mediziner und Naturwissenschaftler tatsächlich Experimente durchgeführt und die Leichen von zum Tode Verurteilten geöffnet. Leider ist der schöne Bau wegen Sanierungsarbeiten geschlossen. Und so müssen die Besucher mit dem Anatomiegarten Vorlieb nehmen, wo jedoch schon die ersten Pflänzchen sprießen.

Bernhard Pehl