Und immer laut werden

26.04.2011 | Stand 03.12.2020, 2:53 Uhr

Auf Abstand halten: Die beiden Polizisten Harald Frießner (links) und Harry Bräuer demonstrieren den Umgang mit Stalkern - Foto: Nachtmann

München (DK) "Stopp!" brüllt Hauptkommissar Harry Bräuer, während er einen Schritt zurücktritt und die rechte Hand mit der Handfläche voraus seinem Widersacher entgegen streckt. Die elf Frauen und zwei Männer im Raum zucken zusammen. Bräuers Kollege Harald Frießner hört auf, auf Bräuer zuzugehen.

Im Anschluss daran werden auch die 13 Teilnehmer des Seminars versuchen, sich gegenseitig auf diese Weise aufzuhalten. "Das ist gar nicht so leicht, denn wir sind von klein auf dazu erzogen worden, leise zu sein", erklärt Bräuer. Er und Frießner sind bei der Kriminalpolizei, in der Stelle für Prävention und Opferschutz. Seit einigen Jahren veranstalten sie für die Deutsche Stalkingopfer-Hilfe (DSOH) in München regelmäßig Selbstsicherheitstrainings, in denen sie Interessierten erklären, was Stalking ist und was man dagegen tun kann. So auch an diesem Tag.
 
Und tatsächlich haben nicht wenige Seminarteilnehmer Probleme bei der zentralen Übung: Die Hand wird nicht energisch genug vorgestreckt, das "Stopp" ist zu leise. "Wenn man Angst hat, versagt die Stimme", sagt eine Frau. Bräuer empfiehlt zu üben, im Keller vor dem Spiegel, vor Bekannten. Das könnte den meisten Anwesenden eines Tages von Nutzen sein, denn sie sind Opfer von Stalking. Sie werden verfolgt und belästigt und wollen erfahren, wie sie sich wehren können. Ihr Leiden ist das gleiche, ihre Verfolger jedoch sind ganz unterschiedlich: Viele werden von ihrem Expartner belästigt, eine junge Frau fühlt sich von ihrem Vater verfolgt und einer älteren Dame macht ein junges Ehepaar aus ihrem Mietshaus so zu schaffen, dass sie überlegt, umzuziehen, obwohl sie ihr ganzes Leben im gleichen Münchner Stadtteil verbracht hat.
 

Die meisten Stalker sind zurückgewiesene Expartner, wie Bräuer erklärt: Mehr als 50 Prozent. Aber es gibt noch fünf weitere Stalkertypen, etwa den "Liebeswahnstalker": "Der ist eigentlich psychisch krank", sagt Bräuer. Denn er bildet sich eine Beziehung ein, die es nie gegeben hat. Prominente werden oft von solchen Menschen verfolgt. Der "inkompetente Stalker" leidet an Selbstüberschätzung und ist unsensibel, der "Jagdstalker" ist sexuell motiviert und will anonym bleiben – ihn befriedigt, wenn er sein Opfer verängstigt. Der "krankhaft dominanzsüchtige Stalker" hat ein geringes Selbstwertgefühl und will deshalb Kontrolle über andere erlangen. Oft war er vor dem Stalking sogar mit seinem Opfer platonisch befreundet. Und der "ärgergetriebene Stalker" fühlt sich ungerecht behandelt, etwa von einer Behörde, deshalb belästigt er einen Menschen stellvertretend für die Institution, um seine Hilflosigkeit in Macht zu verwandeln.

Stalker los zu werden ist meist schwer, aber Opfer können einiges dafür tun. Frießner rät vor allem eines: Abstinenz. Keine letzte Aussprache, alle Kontaktversuche ignorieren. "Totlaufen lassen" nennt er das. Verfolgte sollten ihr Umfeld einweihen, gegebenenfalls auch den Arbeitgeber. Und auch, wenn man die Briefe, E-Mails und Geschenke des Stalkers am liebsten sofort wegwerfen würde – es ist wichtig, alles zu behalten und zu dokumentieren, denn das sind wichtige Beweismittel. Verfolgte sollten auch konsequent die Polizei rufen, wenn sie belästigt werden und Anzeige erstatten. In Konfliktsituationen sollten sie die Rolle des Opfers verlassen und Öffentlichkeit herstellen. Dabei ist es wichtig den Täter zu siezen, falls man mit ihm spricht, auch wenn es sich um den Expartner handelt, "damit ich signalisiere, dass ich mich der Person auch nicht verbal annähern will", erklärt Frießner.

Auch die Polizei kann Stalkingopfern helfen. Sie stellt etwa die Identität des Nachstellers fest, falls nicht bekannt, kann einschätzen, wie gefährlich er ist, Fotos von ihm machen, Fingerabdrücke nehmen, Platzverweise und Kontaktverbote aussprechen und ihn notfalls auch einige Stunden in Gewahrsam nehmen. Eine der wichtigsten Maßnahmen ist laut Frießner die Gefährderansprache. "Dabei stalkt die Polizei quasi den Stalker." Die Beamten sprechen mit dem Täter, um ihm die Kontrolle zu entziehen und zu zeigen, dass sein Opfer jemanden auf seiner Seite hat. "Und ich hab’ noch nicht einen Stalker gesehen, der nicht mit mir reden wollte", sagt Frießner.