Ingolstadt
Tritte, Getümmel und keine Orientierung

Weltmeisterin Nicole Bretting erklärt, warum gerade das Schwimmen vielen Triathleten Probleme bereitet

17.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:03 Uhr
Beim Start geht es eng zu: Eine große Herausforderung der Schwimmdisziplin beim Triathlon ist es, neben den vielen anderen Startern möglichst schnell den eigenen Rhythmus zu finden. −Foto: Bösl, privat

Ingolstadt (DK) Ob Salz- oder Süßwasser, ob im Meer, im Fluss oder im See, Nicole Bretting (kl.

Foto) ist es eigentlich "wurscht", wo sie schwimmt. Eine Einschränkung macht die erfahrene Triathletin dann aber doch: "Wenn es zu kalt wird, ist das nicht gut. " Quallen im Meer, anstrengende Flussströmungen oder Pflanzenschlingen in Badeseen machen der 47-Jährigen dagegen nichts aus. Mit zu großem Respekt vor naturbelassenem Gewässer gewinnt man wohl auch keine Europameisterschaft oder schafft es achtmal zur Ironman-Weltmeisterschaft nach Hawaii und gewinnt dort den Altersklassen-Wettbewerb (2014).

Vor 13 Jahren ging es Bretting aber noch wie den meisten Triathlon-Einsteigern auch: "Ich musste mir das erst aneignen", sagt die Triathletin vom MTV Pfaffenhofen. "50 Meter am Stück Kraulen waren das höchste der Gefühle. " Um 500 Meter schwimmen zu können, war viel Training nötig, am Gang ins örtliche Schwimmbad kommt man also nicht vorbei. Das rät die Top-Sportlerin auch jedem, der mit dem Triathlon-Sport anfangen möchte.

Denn die wenigsten Triathleten kommen über das Schwimmen zu jenem Ausdauer-Dreikampf. "Um die Technik zu lernen, sollte man anfangs viel im Schwimmbad trainieren", sagt Bretting. Es geht darum, Sicherheit zu gewinnen und "Strecke zu machen", also an der Grundkondition zu arbeiten. Für ambitionierte Sportler und Anfänger gleichermaßen ist das aber nur ein Teil der Vorbereitung. Denn zwischen Schwimmbad und Freiwasser besteht ein gewaltiger Unterschied.

Auch die spätere Hawaii-Starterin Bretting musste bei ihrem ersten Triathlon diese Erfahrung machen. "Ich habe die Orientierung in einem See völlig unterschätzt und bin zickzack geschwommen", sagt sie. Im Schwimmbad kann man sich an der Linie am Beckenboden oder an Wänden und Trennleinen orientieren. Im Freiwasser fällt das alles weg. Über einem ist der blaue, konturlose Himmel, unter einem das trübe Nichts. Der Tipp vom Profi: markante Punkte in der Umgebung zur Orientierung nutzen. "Die Bojen anzupeilen ist oft sehr schwierig, deshalb suche ich im Vorfeld beispielsweise einen Baum, den ich beim Schwimmen fixiere", sagt Bretting. Statt wie im klaren Chlorwasser während des Armzuges nach vorne zu schauen, verzögern viele Triathleten alle paar Züge das Eintauchen des Kopfes kurz, um dabei über der Wasseroberfläche die Umgebung zu sichten.

Alternativ könne man natürlich auch hinter anderen Startern in deren Wasserschatten schwimmen, erklärt Bretting, die beim Ingolstädter Triathlon 2017 auf Rang drei landete. So würde man Kraft sparen und müsse sich nicht um die Orientierung kümmern. Das kann aber auch schief gehen. "Beim Ironman in Frankfurt habe ich mich an eine Gruppe gehängt, die ist aber geschlossen einen Umweg geschwommen", erzählt Bretting und lacht. "Da hat man dann kaum eine Chance, aus der Gruppe rauszukommen. "

Neben der schwierigeren Orientierung sei es für Einsteiger auch wichtig, sich an die Besonderheiten von Seewasser zu gewöhnen. "Ich habe schon Leute erlebt, die bei Berührungen mit Schlingpflanzen oder Fischen panisch geworden sind", sagt die Hohenwarterin (Landkreis Pfaffenhofen). Zudem sollte man unbedingt auch mal bei schlechtem Wetter im Freiwasser trainieren, schließlich spielt auch die Außentemperatur eine große Rolle. "Man kühlt im Wasser schneller aus wenn es auch draußen kalt ist", sagt die 47-Jährige. Gerade über den Kopf verliert der Körper viel Wärme.

Was Neueinsteiger in der Vorbereitung nicht simulieren können, ist die Wettkampfsituation. Hunderte Sportler im Wasser, Startschuss, und um einen herum werfen alle den Motor an. "Jeder möchte möglichst schnell um die erste Boje herumkommen", sagt Bretting. "Das Feld entzerrt sich erst nach einer gewissen Zeit. " Bis dahin herrscht großes Getümmel, dass ein unbeabsichtigter Tritt im Gesicht landet, ist keine Seltenheit. Für jeden Starter ist es das Ziel, schnell den eigenen Schwimmrhythmus zu finden. Die Profis versuchen natürlich, möglichst früh an die Spitze des Feldes zu kommen. Langsameren Schwimmern empfiehlt Bretting, sich hinten einzureihen, da jede Fremdberührung den Rhythmus störe: "Beim Start geht es nicht selten turbulent zu, manche reagieren panisch, wenn sie überschwommen werden. "

Bleibt der Faktor Neoprenanzug, an den man sich als Triathlon-Anfänger ebenfalls gewöhnen muss. In der Regel vereinfacht er aber die Dinge. "Der Neoprenanzug wärmt den Körper, und man bekommt eine bessere Wasserlage", sagt Bretting. Unter 16 Grad Wassertemperatur besteht laut den Regeln der Internationalen Triathlon Union Neopren-Pflicht. Ist das Wasser aber zu warm, ist ein Einsatz abhängig von der Distanz verboten. Gewöhnungsbedürftig ist auch, dass man beim Armzug mehr Widerstand hat.

Dieses Stichwort "Gewöhnen" fällt immer wieder. Denn das Freiwasserschwimmen erfordert eine immense Umstellung - und damit viel Vorbereitung. "Ich muss jedes Jahr aufs Neue reinkommen", sagt Bretting. Vor ihrem Ironman-Start auf Hawaii war sie eine Woche früher vor Ort - und absolvierte jeden Tag eine Schwimmeinheit im Pazifik.
 

Christian Missy