Wolnzach
Traktor statt Rollstuhl

Zwei Jahre nach seiner schweren Gehirnblutung sitzt der Landwirt Peter Lehner wieder in der Führerkabine

05.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:39 Uhr
Da strahlt er: Peter Lehner in seinem umgebauten Traktor, den er mit der linken Hand und dem linken Bein bedienen kann. −Foto: Trouboukis

Thongräben (WZ) Vor zwei Jahren hat niemand gewusst, wohin der Weg führen wird: In lebensbedrohlichem Zustand war der heute 38-jährige Landwirt und Familienvater Peter Lehner auf seinem Hof in Thongräben nach einer schweren Gehirnblutung gefunden worden. Seither kämpft er für seinen Lebenstraum, wieder Landwirt sein zu können. Trotz seiner Bewegungseinschränkungen macht er Fortschritte, hat sich einen behindertengerechten Traktor angeschafft und auch das Sprechen klappt immer besser. Lieblingswort: arbeiten.

Schon mehrfach hat unsere Zeitung den "Neuhauser", so der Hofname, in Thongräben besucht und über das Schicksal einer Familie berichtet, deren Leben von einer Sekunde auf die andere aus den Fugen geriet: Dieser Tag im April 2017, als der Familienvater und Landwirt Peter Lehner bewusstlos in seinem Büro gefunden wurde, veränderte alles. Aus war es mit der Angusrinderzucht, mit dem gerade eingerichteten Hofladen, mit dem Erlebnisbauernhof, mit dem Hopfenbaubetrieb, weil der Betriebsleiter schwer krank war und niemand wusste, was denn werden würde. Alles war möglich.

Es wurde und wird, langsam, Stück für Stück, trotz vieler Widrigkeiten, aber dank unbändiger Energie des kranken Peter Lehner und seiner Frau Theresa, die nicht aufgeben. Nicht ihr Leben, nicht ihre Träume - und schon gar nicht ihren Betrieb, denn der Hopfen ist nicht verkauft, nur verpachtet. "Mein Mann ist Vollblutbauer, das kratzt auch eine so schwere Gehirnblutung nicht aus dem Kopf", sagt Theresa Lehner. Ihr Mann nickt - und strahlt. Überhaupt lächelt er viel bei diesem Gespräch mit der Zeitung, dem ersten übrigens, bei dem er selbst dabei sein kann - und das auch unbedingt wollte. Extra hat er sich Zeit genommen und das unterbrochen, was ihn den ganzen Tag beschäftigt: "Arbeiten", sagt er - und lächelt schon wieder. Das Sprechen fällt ihm noch schwer, klappt aber immer besser. Einzelne Worte sucht er sich zusammen, unterstreicht mit Gesten, möchte kommunizieren und sich nicht verstecken. Auf keinen Fall. Vielmehr möchte er immer mehr wieder das sein, was er ist: Peter Lehner, Bauer, Thongräben.

Die linke Hirnhälfte ist durch die Blutung beeinträchtigt, hat das Sprachzentrum getroffen, seine rechte Körperhälfte ist immer noch gezeichnet: Der rechte Arm ist stark eingeschränkt, das rechte Bein steckt in einer Schiene. Handicaps, an deren Beseitigung Peter Lehner eifrig und mit therapeutischer Unterstützung arbeitet. Immer noch und immer weiter. Die wirksamste Therapie jedoch findet er nicht in Therapiezentren oder Krankenhäusern, sondern dort, wo er herkommt: daheim auf dem Neuhauser-Hof, neben seiner Frau, den Kindern, dem bellenden Hofhund und dem nagelneuen Traktor, der extra für ihn umgebaut wurde.

Sein ganzer Stolz, sein größter Schritt bislang zurück in die Normalität ist das. Auf dem Traktor ist er wieder ganz Bauer, agiert, als wäre nichts gewesen. Rangiert, navigiert, rückwärts, vorwärts. Was man auf den ersten Blick nicht sieht: Dieser Bulldog ist eine Spezialanfertigung, denn sämtliche Bedienungselemente, Sticks und Pedale, die üblicherweise auf der rechten Körperseite angebracht sind, gibt es auf der linken Seite noch einmal. Rechts für Theresa, links für Peter. Ein Traktor für ein Landwirtsehepaar.

Wieder Traktor fahren - diesen Traum hat er sich mit dieser Anschaffung erfüllt. Wobei "fahren" eigentlich gar nicht stimmt. Denn dieser Traktor ist kein Spielzeug, sondern ein Arbeitsgerät, das Peter Lehner auch als solches einsetzt. Mit Leidenschaft und Routine, aber nicht auf der Straße, denn da darf er ihn - noch - nicht steuern. Aber auf dem Feld. Und da wird er gebraucht, was ihn sehr freut: Auf dem benachbarten Haunerhof hat er bei der Heuernte mit seinem Traktor geholfen, die Arbeit sehr genossen, erzählt er mit Gesten und Worten. Gefreut hat sich auch Haunerhofbesitzer Josef Schäch: "Der Mann hat ganz einfach seinen Job gemacht und das sehr gut", sagt er. Ihn zu beschäftigen, sei kein Akt des Mitleids gewesen, so Schäch, sondern einer der guten Nachbarschaft. "Wir haben jemanden gebraucht und er hat das gemacht." So einfach sei das.

Mitleid. Eine Sache, mit der die Familie kämpft. Denn seit Peter Lehners Erkrankung und vor allem, seit er sich in der Öffentlichkeit zeigt, spazieren geht oder die Gottesdienste in der Kirche besucht, spüren die Lehners in Begegnungen mit anderen viel Unsicherheit, wissen selbst oft nicht so recht, wie sie das Verhalten ihrer Umgebung deuten sollen. "Manche verstehen auch nicht, warum mein Mann wieder Bauer sein möchte", sagt Theresa. "Auch, dass er doch besser in ein Behindertenzentrum gehen soll, hat mir schon jemand gesagt." Dass das nicht böse gemeint war, wissen die Lehners - und dennoch treffen sie solche Einschätzungen. "Für den Peter ist die beste Therapie unser Hof", sagt Theresa. Und eben deshalb möchte er ihn Stück für Stück zurückerobern - und in zwei Jahren, wenn die Pachtverträge auslaufen, auch seinen Hopfen wieder selbst pflegen und ernten.

"Hopfen", dieses Wort formuliert Peter Lehner schon ohne Probleme. Und noch eines kommt ihm glasklar über die Lippen: "Alpaka." Ein Hof braucht Tiere, deshalb haben sich die Lehners vor kurzem fünf Alpakas angeschafft, um den nach Peters Krankheit zeitweilig ruhenden Erlebnisbauernhof wieder auch zu einem solchen zu machen - mit Hof- und Tierführungen, Erlebnisaktionen und Verköstigung. "Wir hatten einmal Träume und die geben wir nicht auf", sagt Theresa Lehner - und Peter nickt. Aber dann hat er keine Zeit mehr, muss aufstehen - und "arbeiten".

Karin Trouboukis