Eckersmühlen
"Teile euch kurz mit, daß wir in Flandern sind"

Vor 100 Jahren im Ersten Weltkrieg: Der Eckersmühlener Soldat Christoph Müller überlebt 1917 das Schlachten von Ypern

08.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:32 Uhr

Foto: DK

Eckersmühlen (HK) Von drei den Eckersmühlener Brüdern Christoph, Michael und Georg Müller lebte nach zwei Jahren Weltkrieg Ende 1916 nur noch einer: Christoph. Er wurde 1917 an die Westfront abkommandiert und überlebte in Flandern und Frankreich die großen gegnerischen Offensiven, die verlustreicher waren als die Schlacht um Verdun.

Alle drei Brüder wurden zwischen Mitte 1915 und Anfang 1916 zum Kriegsdienst in die Bayerische Armee eingezogen. Während des Jahres 1916 waren sie an den großen Schlachten und Operationen an der West-, Ost- und Balkanfront beteiligt. Michael fand in Russland, Georg in Frankreich den Tod. Nur Christoph war 1917 noch am Leben, von dem man persönlich seit Ende 1915 nichts mehr gehört hatte. Zumindest ist aus der erhaltenen Feldpostkorrespondenz der Brüder aus dem Jahr 1916 nichts von ihm erhalten. Die letzte Nachricht von Christoph stammte von seinem Bruder Michael aus einem Brief vom 14. Mai 1916. Aus ihm kann man entnehmen, dass er nach der Verlegung seiner Einheit von der russischen Front ins österreichisch besetzte Serbien im rückwärtigen Gebiet zur Feldküche abkommandiert worden war, wo er wohl als Metzger arbeitete.

Christoph Müller schien wohl ein Mann weniger Worte gewesen zu sein. Seine beiden erhaltenen Nachrichten aus dem Jahr 1917 sind sehr knapp und beschränken sich nur aufs Wesentliche. Er diente weiterhin bei seiner Einheit, der Bayerischen Pionierkompanie 21 der 11. Bayerischen Infanteriedivision, die nach der Auffrischung an der russischen Ostfront bei den Prepjet-Sümpfen eingesetzt wurde. Dort lag auch das Kampfgebiet von Michael Müllers Einheit. Die Brüder liefen sich dort aber nicht über den Weg, was Michael Müller bestimmt nach Hause berichtet hätte.

Anschließend war die 11. Division bis Ende 1916 in Rumänien eingesetzt und an der Eroberung von Bukarest beteiligt. Anfang 1917 wurde sie an die Westfront verlegt, wo sie zwischen April und September an den Kämpfen im Oberelsass, in der Champagne und am Chemin des Dames teilnahm. Ab dem 14. Oktober 1917 war die Division in Flandern eingesetzt. So ist aus diesen beiden kurzen Briefen zu vermuten, dass er wieder bei der kämpfenden Truppe war und an der dritten Flandernschlacht teilnahm, die rund einer halben Million Soldaten das Leben kostete. Knapp schreibt er am 16. Oktober 1917:

"Liebe Eltern!

Teile euch kurz mit, daß wir in Flandern sind.

Bin Gott sei Dank gesund, was ich auch von euch hoffe.

Es grüßt euch bestens

Christoph"\t

Nur fünf Tage später, am Morgen des 21. Mai, eröffneten die Briten unter General Herbert Plumer mit 2000 Geschützen den Angriff gegen den Wytschaetebogen. Die deutschen Stellungen wurden 17 Tage lang ununterbrochen beschossen. Die eigentliche Schlacht von Messines begann am 7. Juni um 3.10 Uhr mit der Sprengung von 19 tonnenschweren Minen, die in bis vor die deutschen Stellungen vorangetrieben Tunneln gezündet wurden. Die Explosionen vernichteten die Stellungen der 40. Division und der 3. bayerischen Division fast vollständig. Weitere Minen detonierten im nördlich anschließenden Abschnitt der 2. und 35. Division. Etwa 9000 Soldaten fielen oder gerieten, zumeist verschüttet, in Gefangenschaft.

Dies führte dazu, dass die deutschen Vorbereitungen für eine Verteidigung zusammenbrachen. Der Frontbogen fiel in schweren Kämpfen bis 14. Juni vollständig in britische Hände. Am 31. Juli begann dann nach tagelangem Artilleriebeschuss die eigentliche Großoffensive in Flandern.

Die deutsche 4. Armee unter dem Oberbefehlshaber General Sixt von Armin hatte zur Abwehr entsprechende Reserven herangezogen. Zur Verteidigung setzten die Deutschen erstmals Senfgas ein, das nicht nur die Atemwege, sondern auch die Haut angriff.

Wie bei früheren Großangriffen üblich, hatte die schwere Bombardierung mit 3000 Geschützen die deutschen Verteidiger rechtzeitig gewarnt, so dass das britische Ziel, die Straße von Menin zu erobern, fehlschlug. Starker Regen verwandelte zudem das Schlachtfeld in ein riesiges Schlammloch. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass der britische Beschuss die Entwässerungskanäle zerstört hatte. Die Soldaten, die zwischen 30 und 40 Kilogramm Marschgepäck trugen, liefen Gefahr, zu ertrinken, wenn sie von den aus Holzlatten gebauten Wegen abrutschten.

Am Morgen des 16. August 1917 begann die nächste britische Offensive zwischen der Yser und Lys, die auch als "Schlacht von Langemarck" bezeichnet wird. Auch diese scheiterte. Am 20. September startete General Plumer einen neuen Großangriff an der Straße von Menin. Dabei wurden 1295 Geschütze eingesetzt, was je einem Geschütz auf fünf Meter Frontbreite entsprach. Doch auch Plumers Angriff erzielte nur einen Geländegewinn von knapp 1,5 Kilometern, die britischen Verluste betrugen aber 21 000 Soldaten.

Douglas Haig, Oberbefehlshaber des Britischen Expeditionskorps in Frankreich, verlangte größere Geländegewinne und fühlte sich in seinem Glauben bestärkt, dass die deutsche Armee vor dem Zusammenbruch stünde. Ein weiterer Angriff begann am 9. Oktober bei Poelcapelle. Drei Tage später wurde von Haig ein erneuter Versuch gestartet, die deutsche Front zu durchbrechen. Die Schlacht, benannt nach dem Dorf Passendale, steht im englischsprachigen Volksmund auch für die gesamte dritte Flandernschlacht.

Am 12. Oktober gegen 6.30 Uhr früh setzte das Trommelfeuer ein. Eine Stunde darauf folgte der Infanterieangriff gegen die deutsche "Gruppe Ypern". Wieder scheiterte die Offensive und blieb im Schlamm stecken. Die Verluste der englischen 2. und 5. Armee wurden alleine an diesen Tag auf rund 12 000 Mann geschätzt. Auf der deutschen Seite hatte allein die im Brennpunkt bei Passchendaele eingesetzte 195. Division seit 7. Oktober 3395 Mann zu beklagen. Die Moral auf alliierter Seite sank durch diese Niederlagen stark. Es erfolgte nun eine kurze Kampfpause, die die Deutschen nutzten, um Truppen zu verstärken, auszutauschen und aufzufrischen. Während diesen Tagen kam wohl auch Christoph Müller nach Flandern.

Nach neuen englischen Angriffen, die am 22. Oktober gegen den Südrand des Houthulster Waldes eingeleitet wurden, erwartete die deutsche Heeresleitung weitere Angriffe gegen die Front vor Passchendaele. Fast alle Verbände der Gruppen "Staden" und "Ypern" wurden vorsorglich abgelöst. Das mittlerweile erschöpfte Australisch-Neuseeländische Korps wurde ab 15. Oktober durch das Kanadische Korps ersetzt. Ihr Anführer, General Arthur Currie, erklärte gegenüber Haig, dass die Eroberung von Passchendaele etwa 16 000 Soldaten das Leben kosten werde, trotzdem bestand Haig auf den Angriff.

Am 26. Oktober begann der Angriff, um 7 Uhr morgens setzte das Trommelfeuer vom Westrand des Houthulster Waldes bis Zandvoorde ein. Der deutschen Verteidigung der "Gruppe Ypern", welche beidseitig Passchendaele hielt, stand das 11. Bayerische Division, in der Christoph Müller diente, als Eingreifreserve bereit. Es folgten weitere blutige Offensiven. Doch erst am 6. November eroberten die Kanadier mit Hilfe von zwei britischen Divisionen das Dorf Passchendaele sowie die umliegenden Anhöhen. Dieser wochenlange Angriff forderte aber die von General Currie vorausgesagten 16 000 Opfer.

Nachdem Haig die Entscheidung bereits in der Schlacht bei Cambrai suchte, stellte die britische Führung die gescheiterte Offensive östlich von Ypern am 10. November ein. Der geplante Durchbruch wurde nicht erreicht. Auf beiden Seiten gab es aber sehr hohe Verluste. Die Alliierten hatten 325 000, die Deutschen von etwa 260 000 Soldaten zu beklagen. Die Alliierten feierten die Offensive wegen der Eroberung von Passchendaele dennoch als Erfolg.

Christoph Müller überlebte die Kämpfe in Flandern und wurde Mitte November 1917 mit der Bayerischen Pionierkompanie 21 wieder in den französischen Teil der Westfront verlegt, wo sie bei den Stellungskämpfen auf den Maashöhen eingesetzt war, die bis März 1918 andauerten. Am 11. Dezember 1917 schrieb Christoph Müller noch einmal ein paar dürre Worte nach Hause:

"Liebe Eltern,

eure Pakte habe ich erhalten, besten Dank dafür. Liebe Eltern, teile euch kurz mit, daß ich am 9. das Eiserne Kreuz erhalten habe. Ich bin gesund, was ich auch von euch hoffe.

Die besten Grüße sendet euch Christoph."

Wofür er das Eiserne Kreuz bekam, lässt Müller unerwähnt. Der Erste Weltkrieg ging auch nach dem Zusammenbruch des russischen Zarenreiches weiter. Vor allem an der Westfront tobten die blutigen Kämpfe. Der von den Alliierten angestrebte Durchbruch bis zur belgischen Küste, den die Flandernschlachten bringen sollten, wurde trotz der vielen Opfer verfehlt. Ziel war es, die deutschen U-Boot-Stützpunkte bei Ostende und Zeebrugge zu erobern. Denn Deutschland hatte am 1. Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg erklärt. Das heißt, alle Handelsschiffe - auch neutrale - in Britischen Gewässern wurden ohne Warnung versenkt. Daraufhin trat die USA in den Krieg ein. Ihre frischen Truppen und die neuartigen Panzer entschieden den Ersten Weltkrieg endgültig. Allerdings erst nach einem weiteren Jahr blutiger, oft sinnloser Schlachten.