München
Tausende Frühaufsteher feiern beim Kocherlball

Die einst verbotene Tanzveranstaltung ist mittlerweile Kult am Chinesischen Turm

17.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:32 Uhr

In Tracht oder im historischen Gewand als Hausmädchen oder Dienstbote kamen die Besucher des Kocherlballs zum Chinesischen Turm in München. Der Ball geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Damals hatten die "Kocherl" - Küchenpersonal, Dienstmägde und Diener - nur in aller Herrgottsfrüh Zeit zum Feiern. - Foto: Stäbler

München (DK) Nein, es ist nicht schon wieder Oktoberfest - auch, wenn das Wetter zuletzt arg herbstlich dahergekommen ist. Und auch, wenn an diesem Morgen Aberhunderte Dirndlträgerinnen und lederbehoste Männer durch die Münchner Innenstadt hasten und radeln, sich in Bussen und Trambahnen drängeln.

Ihr Ziel ist freilich nicht die Theresienwiese, wo im September die weltgrößte Volksfestsause startet. Vielmehr zieht es die Trachtler am frühen Morgen zum Kocherlball im Biergarten am Chinesischen Turm.

Auch Theresa Heider ist in eines ihrer sieben Dirndl geschlüpft und hat sich auf den Weg gemacht in den Englischen Garten - um halb vier in der Früh. Denn nur, wer so zeitig aufsteht, hat Chancen auf einen der begehrten Sitzplätze rund um die fünfstöckige Pagode. Wobei man an diesem Tag eigentlich zum Tanzen herkommt. Doch bis die Musik ertönt, müssen sich Theresa Heider und ihre Freundin Vanja Radulovic noch etwas gedulden. Und so machen es sich die 28-Jährigen an einem der Biertische bequem, bestellen eine erste Mass und packen das mitgebrachte Essen aus. Um sie herum sitzen Tausende in der Dunkelheit, viele haben Kerzen mitgebracht, andere breiten ihre Decken im umliegenden Gras aus, es herrscht Picknickatmosphäre - in Tracht.

"Das Ganze hat ja schon was von der Wiesn", findet Theresa Heider. "Nur, dass es uriger zugeht." Die Münchnerin ist Doktorandin - und nicht etwa Magd, Köchin oder Kindermädchen. Jene Hausangestellten - kurz: die "Kocherl" - kamen im 19. Jahrhundert stets am Sonntagmorgen zum Tanzen an den Chinesischen Turm - in aller Herrgottsfrühe. Schließlich mussten sie wieder zu Hause sein, sobald ihre Herrschaften aus der Kirche zurück waren. 1904 jedoch verbot die Obrigkeit derlei Tanzveranstaltungen - aus "Mangel an Sittlichkeit". Erst 1989, zum 200. Geburtstag des Englischen Gartens, wurde die Tradition wieder belebt. Anfangs waren die Veranstaltungen noch ein Geheimtipp für Volkstanzfreunde, doch mittlerweile ist der Kocherlball Kult.

Auch gestern strömten um die 10 000 Menschen in den Biergarten, wo sich ab 6 Uhr zwei Kapellen abwechseln. Es gibt Walzer, Polka und Zwiefacher. Wer da nicht ganz so firm ist, der kann sich an Katharina Mayer und Magnus Kaindl orientieren. Die beiden Tanzleiter stellen auf der Bühne den jeweiligen Tanz und die zugehörige Schrittfolge vor. Und so wird bis zum Ende um 10 Uhr getanzt und gefeiert - trotz Wolken und Nieselregens.