Eichstätt
Taulers stille Mystik

28.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:00 Uhr

Eichstätt (DK) Kommt der Mensch auf den "Gipfel der Vollkommenheit", so muss er wieder "niedersinken zu den Wurzeln", im Geist Gottes taucht er unter und ertrinkt "im Meer ohne Grund", seine Seele wird emporgehoben und doch zugleich in einen "wonniglichen Abgrund gezogen und von Gott verschlungen": Die Predigten des Dominikaner-Mystikers Johannes Tauler (um 1300–1361) stecken voll von solchen Paradoxien und Metaphern. Anlässlich seines Mitte Juni bevorstehenden 650. Todestags wurden Taulers Texte bei zwei Eichstätter Lesungen zu neuem Leben erweckt.

Eingeführt durch einen kenntnisreichen Vortrag des Theologie-Professors Erich Naab trug die Freiburger Karmeliter-Tertiarin Ursula Albrecht, seit 2007 Leiterin des Schwarzwälder "Theaters der Stille", am Freitag in der Borgiaskapelle des Collegiums Willibaldinum eine Predigt vor, worin sich Tauler mit Themen wie der Aufmerksamkeit und die Stufen des innerlichen Lebens befasst. Am Samstag stand eine Lesung mit Ausschnitten aus mehreren Predigten auf dem Programm. Beide Abende setzten einen spirituellen Akzent in der Fastenzeit und stellten eine Fortsetzung der Lesungs-Trilogie zur Mystik dar, welche Albrecht im Dezember zu Meister Eckhart geboten hatte. Initiiert wurden die Lesungen durch Li Portenlänger, die rührige Leiterin der Lithographiewerkstatt.
 

Johannes Tauler, um 1300 in Straßburg geboren, hatte Eckhart zum Vorbild und dürfte ihm auch begegnet sein, als dieser Straßburg besuchte, um nahegelegene Frauenklöster zu betreuen. Auch Tauler widmete sich der Betreuung geistlich lebender Frauen: sowohl der Dominikanerinnen wie auch der Beginen – Frauen, die keiner Ordensgemeinschaft angehörten, aber in Hausgemeinschaften ein religiöses Leben führten, wobei sie oft Anfeindungen ausgesetzt waren. Tauler wandte sich scharf gegen ihre Verachtung und ihren Verruf durch üble Nachreden. Vor ihnen hielt er auch seine Predigten, wovon sich 80 bis heute erhalten haben. Unter anderem spricht er darin vom "gar wilden Weg", auf den sich der Mensch machen muss und auf dem ihm "seltsam weh, so weh, und die weite Welt zu eng wird", durch dessen Finsternis und Einsamkeit er aber geführt wird, wenn er sich auf die Nachfolge Christi begeben will.

Der erste Tauler-Abend bot den gebannt lauschenden Zuhörern in der (überfüllten!) Kapelle einen ästhetisch ansprechenden Kontrast zwischen dem Vortrag des gelehrten Theologen und der sinnlichen Interpretation durch die Lesung. Albrecht interpretiert Taulers Texte emotional durch eindringliche Betonung der (in modernes Deutsch übersetzten) Predigt, sie gestikuliert ruhig, ohne zu übertreiben. Der fast charismatische Predigtvortrag wird zu einem Erlebnis, das heute noch ahnen lässt, wie intensiv er einst auf die weiblichen Religiosen des Spätmittelalters gewirkt haben mag. Zuletzt wagt sich keine Hand zum Applaus: Die Zuhörer bleiben nach dem letzten Wort minutenlang still auf ihren Plätzen sitzen.