Südafrikas Rechtsstaat wird durch tagelange Proteste und Plünderungen erschüttert. Ganze Industriegebiete gingen in Flammen auf, nun setzt die Verzweiflung durch akute Versorgungsengpässe ein.
Mit einem der größten Militäreinsätze seit Bestehen seiner jungen Demokratie will Südafrika die seit Tagen andauernde Gewalt in Teilen des Landes eindämmen. Bei den Plünderungen und Ausschreitungen kamen nach Regierungsangaben bisher 117 Menschen ums Leben.
Bei sechs weiteren Toten ist unklar, ob sie im Zusammenhang mit der Gewalt stehen, teilte am Donnerstag die Ministerin im Präsidialamt, Khumbuzo Ntshaveni, mit. Insgesamt wurden mehr als 2200 Südafrikaner festgenommen - darunter ein Verdächtiger, der zu Plünderungen angestiftet haben soll. Präsident Cyril Ramaphosa billigte zusätzlich zu den bereits stationierten 5000 Militärs die Mobilisierung weiterer 25.000 Soldaten. 10.000 seien am Donnerstag bereits stationiert worden, so Ministerin Ntshaveni.
Die Aktion gilt als einer der größten Militäreinsätze seit 1994, als es in Südafrika nach dem Ende der Apartheid erstmals freie Wahlen für alle gab. Sämtliche verfügbaren Reservisten erhielten einen Marschbefehl. Verteidigungsministerin Nosiviwe Mapisa-Nqakula hatte das Parlament am Vorabend über den Einsatz informiert. Mit 30.000 mobilisierten Soldaten würde nach Ansicht des Militärexperten Darren Olivier die gesamte Streitmacht des Kap-Staates aufgeboten. Unklar ist daher, ob sich Südafrika noch wie geplant an einer Hilfstruppe des regionalen Staatenbündnisses SADC für die Terror-Bekämpfung im Nachbarstaat Mosambik beteiligen kann.
Proteste nach Zuma-Inhaftierung eskalieren
Begonnen hatten die Gewalt mit Protesten gegen die Inhaftierung des aus der Provinz KwaZulu-Natal an der Ostküste stammenden Ex-Präsidenten Jacob Zuma. Der musste vor einer Woche eine 15 Monate lange Haftstrafe wegen Missachtung der Justiz antreten. Die Proteste entwickelten sich schnell zu großflächigen Ausschreitungen.
KwaZulu-Natal sowie das Ballungsgebiet um die Großstädte Johannesburg und Pretoria (Gauteng-Provinz) sind von der Gewalt besonders schwer betroffen. Die Regierung mobilisierte das Militär, weil die Polizei den Plünderern zahlenmäßig unterlegen war. Mittlerweile formieren sich Nachbarschaftsgruppen und zivile Bürgerwehren. Auch die einflussreichen Taxi-Gesellschaften versuchen nun, Übergriffe auf wichtige Infrastruktur zu verhindern. Die hatten sich auch gegen Kliniken, Drogerien und sogar Schulen gerichtet.
Schäden in Millionenhöhe und viele vernichtete Jobs
Am Donnerstag gingen sie spürbar zurück. Nach Angaben von Ntshaveni wurden in der Gauteng-Provinz noch sechs Übergriffe registriert. In der Provinz Kwazulu-Natal sank die Zahl von mehr als 100 Attacken auf rund 30. An vielen Orten setzten daher bereits die Aufräumarbeiten ein. Erste Schätzungen gehen von einem Schaden in dreistelliger Millionenhöhe und 20.000 vernichteten Jobs aus. Die Regierung will für den Wiederaufbau einen Fonds auflegen, an dem sich laut Ntshaveni nun auch die Industrie und der private Sektor beteiligen sollen.
Die von Präsident Ramaphosa angekündigten Versorgungsengpässe machten sich in dem bei Johannesburg gelegenen Township Alexandra, aber auch der Hafenstadt Durban bemerkbar. Dort gab es kilometerlange Schlangen vor noch offenen Tankstellen. Nach Prügeleien um das knappe Benzin sicherten Soldaten den Ort. Auf Luftbildern waren zudem lange Warteschlangen von mehr als hundert Metern vor den noch offenen Lebensmittelgeschäften zu sehen. Die Regierung plant die baldige Öffnung der geschlossenen Häfen und auch der wichtigen Autobahn, die von Afrikas bedeutendstem Hafen in Durban ins Industriegebiet rund um Johannesburg sowie auch zahlreiche Anrainerstaaten führen.
Polizeiminister Bheki Cele kündigte in Durbans Vorort Phoenix Hausdurchsuchungen in den betroffenen Gebieten an, die in der Gauteng-Provinz rund um Johannesburg begonnen hätten. „In vielen Haushalten, in vielen Häusern in Südafrika wird es ziemlich harte Zeiten geben, weil wir rein kommen und Quittungen verlangen werden“, sagte er. Am Vorabend hatte er in der Nähe den Fund Zehntausender Schuss scharfer Munition bekanntgegeben. Dem TV-Sender Newzroom Africa sagte er: „Einige Leute bereiten sich auf einen Krieg vor.“ Es sei falsch, dass Menschen nur aus Hunger plünderten - einige bewaffneten sich auch. „Eine gefährliche Situation“, meinte er.
In Durbans Vorort Phoenix wurden nach offiziellen Angaben 15 Menschen bei Spannungen mit der indischstämmigen Bevölkerung getötet - Cele sprach von „hässlichen Szenen“. Er bestritt aber, dass es sich dabei um rassistische Übergriffe gehandelt habe, sondern sprach von Kriminellen. Durban - eine Partnerstadt von Bremen - hat seit der Kolonialzeit eine starke indischstämmige Bevölkerung.
© dpa-infocom, dpa:210715-99-396673/6
dpa
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