Bilanz
Durchwachsenes Zeugnis: Artenschutz-Umsetzung kommt nicht überall voran

15.07.2021 | Stand 23.09.2023, 19:47 Uhr
Das Volksbegehren von 2019 war unter dem Namen "Rettet die Bienen" bekannt geworden. −Foto: Pixabay

München - An diesem Samstag sind es genau zwei Jahre, dass der bayerische Landtag das Volksbegehren "Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern - Rettet die Bienen" in Verbindung mit einem Begleitgesetz angenommen hat.

Am 1. August 2019 traten viele neue Vorgaben für die Land- und Forstwirtschaft, aber auch in anderen Bereichen in Kraft. Manches vorgegebene Ziel ist bereits (teilweise) umgesetzt, andere Punkte warten noch darauf, überhaupt angepackt zu werden. Die Bilanz ist - je nach Sichtwinkel - durchaus gemischt.

Mehr als 1,7 Millionen Menschen, fast jeder fünfte Wahlberechtigte im Freistaat, hatten 2019 mit ihrer Unterschrift einen stärkeren Natur- und Artenschutz gefordert. Doch das Gesetz (siehe Kasten) würde sich nicht von heute auf morgen umsetzen lassen, das war von Anfang an klar. Dazu umfasst es zu viele Bereiche, vom neu zu schaffenden Biotopverbund im Freistaat über landwirtschaftliche Aspekte bis hin zu einem besseren Bildungsangebot im Naturschutz.

Die Bauern hatten sich vor zwei Jahren von Anfang an dagegen gewehrt, allein für den Artenschwund verantwortlich gemacht zu werden. Heute geben sie sich selbstbewusst, sie seien die Einzigen, die beim Artenschutz lieferten. Denn "während sich die neuen Vorgaben und Regeln direkt auf unsere Arbeit und Wirtschaftsweise auswirken, tut sich gesamtgesellschaftlich zum Beispiel beim Thema Flächenverbrauch nach wie vor gar nichts", kritisiert der bayerische Bauernpräsident Walter Heidl. Der angekündigte Gesellschaftsvertrag lasse ebenso auf sich warten, wie etwa die von Staatsregierung und Landtag zugesicherte Evaluierung.

Was sagt die Ökologisch-Demokratische Partei Bayern (ÖDP) als Initiatorin des Volksbegehrens zum bisher Erreichten? Agnes Becker, stellvertretende ÖDP-Landesvorsitzende und Beauftragte des Volksbegehrens, formuliert es so: "Ein Zeugnis für die Staatsregierung nach zwei Jahren Umsetzung würde aussehen wie wohl viele Schulzeugnisse: Von gut bis schlecht ist alles dabei. Erfreulich ist der jetzt gesetzlich verankerte Schutz von Gewässern durch sogenannte Uferrandstreifen, die trotz aller Unkenrufe der Landwirtschaft finanziell weiter gefördert werden können." Positiv sei außerdem die Umsetzung beim Artenschutz im Wald. "Aus knapp 60.000 Hektar Staatswald wurde die Motorsäge verbannt", sagt Agnes Becker.

Als "eher peinlich" bewertet die ÖDP-Vertreterin hingegen die Regierungsbilanz bei Biolebensmitteln in staatlichen Kantinen und dem Ökolandbau auf staatlichen Flächen, da sei mehr drin. Und "der gesetzlich verankerte Biotopverbund steckt noch in den Kinderschuhen, der Biotopschutz für Streuobstwiesen wurde hinterrücks nahezu ausgehebelt, und die Rolle Bayerns in den jüngst abgeschlossenen Verhandlungen um die gemeinsame EU-Agrarpolitik macht ärgerlich." Man dürfe die Regierung keine Sekunde aus den Augen lassen.
Die Gescholtenen sehen das indes ganz anders: Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber spricht auf Anfrage unserer Zeitung von einem "einzigartigen Erfolgsprojekt" und stellt fest: "Wir gehen jetzt in das dritte Jahr mit Artenschutz auf Top-Niveau. Wir wollen blühende Bänder durch Bayern ziehen." Sein Haus meldet ergänzend die Fakten wie die Ausweitung des Vertragsnaturschutzprogramms mit einem Anstieg von 90000 Hektar im Jahr 2018 auf aktuell 135000 Hektar. Das Landschaftspflegeprogramm enthalte zusätzliche Schwerpunkte. So würden die Neuanlage von Streuobstwiesen und die naturschutzgerechte Pflege alter Streuobstbäume mit bis zu 90 Prozent der Kosten gefördert.

Norbert Schäffer, Vorsitzender beim Landesbund für Vogelschutz, begrüßt, dass als Folge der Gesetze "deutlich mehr Personal und Geld für den Naturschutz zur Verfügung steht". Es gebe bereits einige beachtliche Fortschritte, etwa beim Waldschutz, sagte er unserer Redaktion. "Beim Biotopverbund kommt aber kaum was voran, wir stecken in der Anfangsphase, da ist noch deutlich Luft nach oben. Das wird dann auch sehr viel für den Artenschutz bringen und das Gesicht Bayerns gewaltig verändern", meint Norbert Schäffer. Gefordert seien neben dem Staat auch Privatpersonen und Kommunen.

Christine Margraf vom Bund Naturschutz lobt in ihrer Bilanz die bisher erfolgte Ausweisung von Naturwäldern. "Aber es fehlen große Gebiete wie der Steigerwald", sieht sie weiter Defizite. Der Schutz der Gewässerrandstreifen sei "total auf die lange Bank geschoben worden, dabei hätte man da sofort etwas erreichen können". Bei der Biotopvernetzung sei ebenfalls wenig vorwärtsgegangen - "und das Ganze gehört nicht zuletzt kontrolliert".

"Ich finde es sehr positiv, dass das Volksbegehren den Artenschutz mehr ins Bewusstsein gerückt hat", sagt der Ingolstädter Imker Ferdinand Bugany. Ob die vielerorts angelegten Blühstreifen tatsächlich immer etwas bringen, zweifelt er an: "Das sind oft Mischungen aus nichtheimischen Pflanzen, mit denen bloß Geld gemacht wird", plädiert er für mehr naturnahe Pflanzungen. Bugany wünscht sich die Eindämmung des Flächenverbrauchs, mehr Projekte mit Bürgerbeteiligung, um die Akzeptanz zu steigern, oder eine bessere Förderung von stillgelegten Flächen. "Das würde der Natur sehr viel bringen, denn man muss immer das gesamte Gefüge sehen."

"Artenschutz und Naturschönheit in Bayern"

Das seit fast zwei Jahren geltende Gesetz zum verbesserten Artenschutz in Bayern und das Begleitgesetz sehen unter anderem eine Bewirtschaftung von mindestens 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche gemäß den Grundsätzen des ökologischen Landbaus bis 2025 vor, bis 2030 sollen es mindestens 30 Prozent sein. Der Erhalt und Schutz der biologischen Vielfalt des Waldes gilt demnach ebenfalls als vorrangiges Ziel. Um Wiesen und Weiden zu erhalten, ist die Umwandlung von Dauergrünland und Dauergrünlandbrachen nicht mehr möglich. Um Hasen und Vögel zu schützen, ist die Mahd von außen nach innen bei Flächen ab einem Hektar nicht mehr zulässig. Auch das Walzen auf Grünland nach dem 15. März ist untersagt. Es gilt außerdem ein verbindlicher Schutz von Gewässerrandstreifen in der Breite von fünf Metern.

Der Freistaat verpflichtet sich zur Schaffung eines Netzes räumlich oder funktional verbundener Biotope, das bis 2023 mindestens 10 Prozent und bis 2027 mindestens 13 Prozent Offenland der Landesfläche umfasst. Das Gesetz beinhaltet weiter ein Verbot von Himmelsstrahlern zum Schutz der Insektenfauna und untersagt den Pestizideinsatz in Naturschutzgebieten und auf geschützten Flächen. Der Schutz von Alleen, Streuobstwiesen (Flächen über 2500 Quadratmeter), Feldgehölze und Hecken genießen ebenso besonderen Schutz.

Die Staatsregierung muss jährlich Berichte über den Erfolg der Maßnahme stellen, außerdem sollen Bildungsangebote zum Naturschutz in Schule und Berufsausbildung verbessert werden.

hri

DK

Horst Richter