(rh)
Stadtgeflüster vom 4. März 2014

03.03.2014 | Stand 02.12.2020, 23:00 Uhr

(rh) Fußball ist Hochkultur. Von Begegnungen wie etwa FC Ingolstadt gegen Dynamo Dresden, die scheinbar das Gegenteil beweisen, sollte man sich nicht täuschen lassen. Ein spektakulärer Pass des jungen Fußballgottes Franz Beckenbauer, locker aus dem Fußgelenk geschlagen, steht in ästhetischer Hinsicht auf der gleichen Stufe wie ein Tanz des russischen Ballettvirtuosen Rudolf Nurejew.

Die beiden genialen Bewegungskünstler haben sich schon jetzt ihren Platz in der europäischen Kulturgeschichte gesichert. Übrigens begegneten sie einander in den siebziger Jahren öfter in New York, als der Kaiser bei Cosmos kickte. Nurejew, der dem männlichen Geschlecht sehr zugetan war, soll dem deutschen Fußballstar mehrfach eindeutige Avancen gemacht haben, so erzählte der Franz später. Aber der Libero blieb hetero und lehnte dankend ab.

Auch weltberühmte Sänger wie Placido Domingo zählten zu den Bewunderern der Beckenbauerschen Kunst, und auffallend viele große Dirigenten sind dem Fußball total verfallen. Sie würden lieber einen Einsatz in einer Beethoven-Sinfonie verpassen als das Elfmeterschießen eines Champions-League-Finales. Ein Fernsehgerät im Dirigentenzimmer ist in diesen Fällen für die Konzertpause obligatorisch. Gegebenenfalls lässt sich die Programmfolge problemlos auf den Zeitplan eines wichtigen Turniers abstimmen. Eine Rossini-Ouvertüre oder ein Mozart-Divertimento sind für den fußballverrückten Orchesterleiter recht flexibel zu handhaben, während von einer Bruckner-Sinfonie in WM-Zeiten dringend abzuraten ist. Die dauert allein schon so lange wie ein ganzes Fußballspiel. So mancher Musikkritiker mag seinen Ohren nicht trauen, wie ungewöhnlich flott ein britischer Maestro den Finalsatz angeht und dabei alle Tempovorgaben aus der Partitur über den Haufen wirft, nur um den Anpfiff des Schlagerspiels Deutschland-England nicht zu versäumen. Es käme einem Affront gegen den Dirigenten gleich, wenn unter diesen Umständen das Publikum auch noch auf einer Zugabe bestehen würde.

Man kann nur hoffen, dass die Audi-Kulturbeauftragten sich bei der Planung der Sommerkonzerte ihrer großen Verantwortung für ausübende wie konsumierende Musikfreunde bewusst waren. Denn just zur gleichen Zeit, wenn im Theaterfestsaal hochrenommierte Ensembles auflaufen sollen, sind in Brasilien die Weltfestspiele des Fußballs angesetzt. Am Tag nach dem Halbfinale von Sao Paulo dirigiert Kent Nagano am 10. Juli in Ingolstadt Gustav Mahlers Auferstehungssinfonie. Das darf schon mal als gutes Omen gewertet werden, dass Deutschland diesmal tatsächlich Italien aus dem Rennen wirft. Aber ausgerechnet am 13. Juli, wenn in Rio das WM-Finale steigt, hat die Audi-Jugendchorakademie ihren großen Auftritt. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ wird bei diesem Konzertabend im Festsaal wohl eher nicht erklingen, denn auf dem Programm steht das Requiem von Antonin Dvorak.