Ingolstadt
Sorgen über Sorgen

Wie ernst sind Wohnungsnot, Staus und Innenstadtverödung? Drei Experten interpretieren die Forsa-Zahlen

03.03.2014 | Stand 02.12.2020, 23:00 Uhr

»Es fehlen Wohnungen ohne Ende«, sagt der Makler Helmut Grabmann, hier auf einer Immobilie an der Theresienstraße. - Foto: Heimerl

Ingolstadt (reh/sic) Es ist ein Problem mit starker Beschleunigung: 44 Prozent der Befragten zählen in der neuen Forsa-Studie die „zu hohe Verkehrsdichte“ zu den größten Problemen der Stadt. In der Erhebung vier Monate zuvor waren es noch 40 Prozent, in der Forsa-Umfrage vom März vorigen Jahres 36 Prozent. Die „Wohnungsnot“ hat mit 15 Prozent im Problem-Ranking einen neuen Höchststand erzielt; im Oktober 2013 sahen hier zwölf Prozent eines der größten Probleme, im März waren es elf Prozent.

Und auch die „Verödung der Innenstadt“ wird nach einer Phase der Entspannung (20 Prozent im Oktober) wieder dramatischer beurteilt. Laut Forsa von 23 Prozent der Befragten. Drei Fachmänner interpretieren diese Zahlen und schildern das Ausmaß der Probleme aus ihrer Sicht.
 

WOHNUNGSNOT

Dem Experten genügen genau vier Wörter, um die Situation aus seiner Sicht auf den Punkt zu bringen: „Es ist der Wahnsinn.“ Der Immobilienmakler Helmut Grabmann arbeitet auf einem Markt, der immer enger wird. „Es fehlen Wohnungen ohne Ende. Wir können alles vermieten. Alles!“ Und vor allem: möglichst Kleines. „Studentenappartements gehen am besten“, berichtet er. Der Zuzug lasse nicht nach, ganz im Gegenteil. Die Bautätigkeit sei ebenfalls immens, bestätigt Grabmann, aber sie halte noch nicht mit dem steigenden Bedarf Schritt. Immer noch nicht. Allerdings kann der Makler das von einigen Politikern gern bemühte Argument, die Stadt sei für Investoren nicht attraktiv genug – ja sie würden sogar verschreckt – gar nicht nachvollziehen. „Wir gehören zu den Top Ten der Städte mit den besten Zukunftschancen!“ Grabmann verweist dazu auf die „Prognos-Studie 2013“, deren Erkenntnisse er aus eigener Erfahrung bestätigen könne. Dass manche Investoren in Ingolstadt vielleicht nur mittelprächtige Geschäfte gemacht haben, könne auch daran liegen, dass sie zu große Wohnungen angeboten haben. „Eine Zweizimmerwohnung bis 65 Quadratmeter ist ideal“, erklärt Grabmann. „Bei 75 Quadratmetern wird es schwieriger. Um das loszuwerden, mussten einige mit dem Preis runtergehen.“ Er verrät eine goldene Investorenregel: „Je kleiner eine Wohnung, desto höher der Ertrag.“

 

VERKEHR

Wohin die Fahrzeugströme über die Jahrzehnte auch flossen, wo immer sie sich stauten: Er war ziemlich oft mittendrin. Und ist es noch heute: Der Transportunternehmer Hans Fegert (Foto) weiß eindringlich davon zu erzählen, wie die alte Schanz zu einer modernen Industriemetropole gewachsen ist, mitsamt negativen Begleiterscheinungen, allen voran: der viele Verkehr. Fegert kann sich nicht daran erinnern, dass es vor der Einweihung der Glacisbrücke 1998 auf der Westlichen Ringstraße je zu Staus gekommen wäre. „Mit der viel zu schmalen Brücke sind die Probleme erst losgegangen. Davor hat man auf der Ringstraße auch keine Lärmschutzwand gebraucht, weil da viel weniger Lärm war als heute.“ Vierspurig hätte die dritte Donaubrücke werden müssen, findet Fegert, der sie meidet, so gut es geht. Der Unternehmer und namhafte Autor lokalgeschichtlicher Bücher kennt alle Stauzonen längst zur Genüge. „Aufträge, bei denen wir nach 16 Uhr über die Neuburger oder die Ettinger Straße müssen, nehme ich schon gar nicht mehr an, weil ich draufzahle, wenn ich da bis zu einer Stunde im Stau stehe.“ Noch schlimmer sei es in der Innenstadt. „Da etwas auszuliefern, ist eine Katastrophe, weil man fast nirgendwo halten darf.“ In der Altstadt, findet Fegert, „gehört dringend was gemacht“. Doch eine Lösung hat der 66-Jährige auch nicht parat. „Das ist ganz schwierig.“ Jeden Freitagnachmittag fährt er eine Lieferung vom Piusviertel in die Bunsenstraße nahe der Manchinger Straße. „Das dauert fast eine Stunde!“ Für einen Unternehmer hart an der Grenze. Von einer Donauquerung im Westen via Tunnel (wie die Freien Wähler ihn fordern) oder via Hochstraße (so die Idee der FDP) verspricht sich Fegert nichts, um so mehr aber glaubt er an die entlastende Wirkung eines Audi-Bahnhalts, weil dort im Idealfall tausende Schichtarbeiter direkt vor der Werkshalle aus- und zusteigen könnten. Grundsätzlich bemerkt Fegert aber: „Wir Ingolstädter sind aber auch verwöhnt. Wir jammern ja schon, wenn wir nur fünf Minuten im Stau stehen.“ Er empfiehlt, sich mal zur Hauptverkehrszeit auf den Münchner Petuelring zu begeben und zu erleben, „wenn in einer Grünphase gerade drei Autos über die Ampel kommen – da ist erst was los!“

INNENSTADTVERÖDUNG

Den Auftritt der beiden singenden Coiffeure in der Ludwigstraße hat er am Samstag natürlich aus der Ferne mitbekommen. Ebenso den Applaus, den das Friseurduo in sozialen Netzwerken dafür erhält. „Ein Faschingsscherz für mich, nicht mehr, nicht weniger“, sagt Thomas Deiser, der Chef des Innenstadtvereins IN-City, der bei dem Musikstück („Was IN-City macht, is nur no bled“) besonders viel aushalten musste. Deiser steckt die polemischen Angriffe weg und diskutiert lieber auf der Sachebene. „Mich freut, dass die Innenstadt überhaupt im Fokus steht“, sagt er. „Das spiegelt sich auch in den Wahlprogrammen der Parteien wider. Alle sind schwer mit Ideen aufgefahren.“

Deiser hatte sich mit IN-City und Partnern wie Audi ins Zeug gelegt und die Eisbahn auf dem Paradeplatz realisiert. Auch die Winterlounge am Rathaus kam gut an. Doch in der Forsa-Umfrage schlägt sich das ganz anders nieder: Die Verödung der Innenstadt nannten jetzt 23 Prozent der Befragten als größtes Problem Ingolstadts. Dabei waren es im Oktober 2013 „nur“ 20 Prozent gewesen und der Wert seit der ersten Befragung im März 2013 (28) sogar deutlich zurückgegangen. „Das überrascht mich nicht“, sagt Deiser zum erneuten Anstieg. Im Wahlkampf würden stets die negativen Seiten herausgestellt werden. So wie gerade das Thema Leerstände eben. Der Kampf um die Innenstadt geht weiter.