(tsk) "Bald packen sie das Letzte auf
Stadtgeflüster vom 31. Mai 2016

30.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:45 Uhr

(tsk) "Bald packen sie das Letzte auf/Da sagt mir nun der volle Wagen/Was für des Lebens kurzen Lauf/Wir all für Ballast mit uns tragen/Da stehen und liegen Bett und Schrank/Und Stuhl und Spiegel, Töpf' und Pfannen/Und Stiefelknecht und Tisch und Bank/Es zieht ja alles mit von dannen/Ein wüstes Bild! Was seinen Ort/Gehabt in Kammer, Küch' und Zimmer/Wild liegt es durcheinander dort/Als fänd's die alte Ordnung nimmer."

Welcher Umzug den deutschen Schriftsteller Friedrich Hofmann (1813-1888) im Jahre 1877 dazu veranlasst hat, das Gedicht "Beim Auszug" zu verfassen, dessen erste paar Verse wir hier zitieren, ist uns nicht bekannt. Es hätte einige Möglichkeiten zur Inspiration gegeben: Der gebürtige Coburger studierte in Jena, arbeitete zunächst in Hildburghausen in Thüringen, lebte danach für kurze Zeit in Venedig, zog dann nach Leipzig, um sich schließlich in Ilmenau niederzulassen - wo er letztendlich auch starb. Heutige Akademiker kommen vielleicht noch auf ein paar Stationen mehr, aber im Gegensatz zu ihnen konnte Hofmann nicht eben mal über soziale Netzwerke nachfragen, wo man denn in Tokio Biokartoffeln kaufen kann, wer einen mal schnell zur Zwischenmiete in einer amtlich versifften WG in Göteborg unterbringen kann oder welcher Arbeitgeber gerade in einer hippen, außereuropäischen Hafengegend noch ein bisschen Arbeitsfläche zur Verfügung hat. Ob Friedrich Hofmann damals Freunde hatte, die ihm beim Umzug halfen?

Auch das wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass auch heute noch jeder Umzug ein gewaltsamer Eingriff in den Lauf der Dinge ist - und man muss sich ernsthaft die Frage stellen, warum man es trotzdem schon wieder getan hat. Nach jedem Umzug versichert man sich gegenseitig und nur halb im Scherze, dass dies definitiv der letzte gewesen sei. Dass man - wenn man dann trotzdem wider besseren Wissens nach Veränderung strebt - wenigstens nichts mehr zukaufen und gewissenhafter aussortieren werde. Dass man die Kisten weniger schwer packen, dafür beschriften und gleich auf die richtigen Räume in der neuen Wohnung verteilen, die Dübel von den Schrankelementen entfernen und Glas und sonstiges leicht Zerbrechliches sicher verpacken werde. Und man beim nächsten Mal rechtzeitig den Internetanbieter informiert, also gefühlte zwei Jahre im Voraus. Und dass man dann - auf jeden Fall - ein Umzugsunternehmen engagiert. Weil das immer noch günstiger und zeitsparender ist als ein gemieteter Transporter - besonders dann, wenn man damit ein geparktes Auto touchiert.

Diese Sorgen hatte Hofmann wohl nicht, er besaß ja nicht einmal ein Automobil. Deswegen hatte er auch noch die Zeit, sich ausführlich seiner alten Bleibe zu widmen: "O möge freudiges Gedeihen/Als unser Dank das Haus belohnen/Und mögen alle glücklich sein/Die nach uns diesen Raum bewohnen."