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Stadtgeflüster vom 29. September 2015

28.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:45 Uhr

(sic) Seit wir Deutschen nicht mehr so gefährlich sind wie früher, haben einige schöne Bräuche des Militarismus gelitten. Das Marschieren zum Beispiel ist erkennbar auf der Strecke geblieben. Das Ausland verfolgt die neue deutsche Harmlosigkeit natürlich erleichtert.

Besser, die Deutschen widmen sich mit Liebe dem Kleingartenwesen und der Kleintierzucht als dem Angriffskrieg, finden unsere langjährigen Feinde.

Aber so richtig schön marschieren – davon träumen offenbar mehr Deutsche, als man glaubt. Vor allem in der bayerischen Variante, dem Defilieren. Mit heiter ins Volk winken und Frauen und so. Ja, die dürfen auch mit, sind aber eher fürs Blumenschwenken zuständig. Ein echtes bayerisches Defilee wirkt nach außen wie eine Love Parade. Da muss kein Brite vor Angst seinen Stahlhelm aus dem Keller holen.

Viele Ingolstädter Lokalpolitiker marschieren auch für ihr Leben gern, wie auf den Volksfestumzügen nicht zu übersehen ist. Neuerdings haben die Lederhosen-, Trachtenjanker- und Dirndlträger im Stadtrat jedoch ein Problem: Vor dem Anzapfen am Freitag gibt es jetzt keinen Festumzug mehr; er findet erst am Samstag statt. Blöd. Doch davon lassen sich unsere Honoratioren nicht beirren! Sie schreiten weiter in geordneter Formation zum Anzapfen. Dazu nehmen sie vor dem Bierzelt Aufstellung und defilieren würdevoll los. Und zwar ziemlich genau 50 Meter weit bis zu dem Fass, das der OB behämmert. Der kürzeste Festumzug der Welt! Einige Stadträte haben auf dem Weg sogar gewunken. Das schaut echt drollig aus, aber man sollte sie nicht belächeln. Die Damen und Herren haben einfach so eine Freude dran!

Am vergangenen Freitag ist die Schanzer Ehrenformation auch wieder ihre 50 Meter vom Zelteingang zum Anzapfen defiliert. Auf dem Pfingstvolksfest betrug die Distanz immerhin 80 Meter. Der zweitkürzeste Festumzug der Welt! Gut, ein bisschen länger dürfte die Parade schon werden – nicht, dass doch mal einer lacht! Die Volksfestfraktion sollte künftig vielleicht noch eine Runde um den Busbahnhof drehen, bevor sie ins Zelt einmarschiert. Wie wir unsere Würdenträger kennen, sind sie bestimmt gerne dabei.