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Stadtgeflüster vom 19. September 2012

18.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:03 Uhr

(rh) Das hat die parlamentarische Demokratie allen anderen Staatsformen voraus: Durch das Prinzip der wechselnden Mehrheiten wird verhindert, dass eine einzelne Person oder Partei ihre Macht missbraucht; mit seinem natürlichen Gespür schafft der Wähler stets eine feine Balance zwischen den Interessengruppen; und sobald eine Richtung übermächtig zu werden droht, folgt am nächsten Wahltag prompt die Quittung durch das Volk. Dann gibt der Souverän der Konkurrenz den Regierungsauftrag.

So werden unzulässige Verquickungen zwischen Staats- und Parteiapparaten im Keim erstickt, der Filz hat keine Chance.

Über Jahrhunderte haben Staatsrechtler und Philosophen an diesem politischen System gearbeitet, auf dass der Mensch mit all seinen Fehlern und Schwächen nicht in Versuchung geführt werde. Nur eine sittlich so tief gefestigte Bevölkerung wie die des Vatikan oder des Freistaates Bayern kann auf wechselnde Mehrheiten verzichten. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird Bayern deshalb zum Segen unseres Landes von der Christlich-Sozialen Union regiert. Wer darin einen Zufall sieht, könnte genauso gut Luther für den Erzbischof von Wittenberg halten.

Niemand sollte sich in Bayern erfrechen – sei er Sozialdemokrat, Freier Wähler oder gar Grüner –, diese gottgewollte Ordnung der Dinge in Frage zu stellen. Und doch treten immer wieder vereinzelte SPD-Politiker auf, die Anspruch auf ein Ministeramt erheben, selbst aus Ingolstadt, ja gerade aus Ingolstadt. Das Anforderungsprofil für den Schatten-Wirtschaftsminister der SPD ist schnell zusammengefasst: Er sollte entweder aktiver oder ehemaliger Personalvorstand der Audi AG sein. 1994 holte Renate Schmidt Andreas Schleef in ihr Wahlkampfteam, jetzt entschied sich Christian Ude für Werner Widuckel. Der soeben Berufene verriet dieser Tage in einem Interview, dass er mit Horst Seehofer die Leidenschaft für Modelleisenbahnen teile. Man mag sich gar nicht ausmalen, was da im Stellwerk von Schamhaupten los wäre, wenn es 2013 zu einer großen Koalition in Bayern käme.