Stadtgeflüster vom 17. August 2011

16.08.2011 | Stand 03.12.2020, 2:30 Uhr

(sic) Es soll tatsächlich Lokaljournalisten geben, die Berichte über Veranstaltungen mit eher eingeschränktem Neuigkeitswert eiskalt vorschreiben.

Wenn die üblichen Verdächtigen mit den immer gleichen Sprüchen Rituale pflegen, die sich seit der Renaissance nicht mehr verändert haben, ist für freizeitorientierte Redakteure die Versuchung natürlich groß. Zum Beispiel bei Volksfesteröffnungen – mit das Ödeste, was der Journalismus zu bieten hat. Während draußen noch die Brauereigäule Aufstellung nehmen, verfassen solche Kollegen schon Texte à la: „Unter großem Jubel zapfte der Bürgermeister das erste Fass Bier mit X Schlägen an.“

Später gilt es nur noch zu recherchieren, ob die Veranstaltung überhaupt stattgefunden hat. Am Ende muss der Redakteur das X durch die Schlagzahl ersetzen – und fertig ist die Laube, wie man im Fachjargon sagt.

Das penible Mitzählen, wann immer ein Gemeindeoberhaupt im Bierzelt zum amtlichen Anzapfen schreitet, ist eigentlich eines der hohlsten Rituale des bayerischen Kulturraums. Aber das Volk erkennt an der Zahl der Schläge, ob einer ein echter Bayer ist oder nur ein zugereister Fasslklopfer. Maßvollen Spott hat seit Freitag Schrobenhausens Bürgermeister Karlheinz Stephan zu ertragen. Der CSU-Mann musste auf dem Volksfest satte fünf Mal zuhauen, bis Bier floss. Also das hätte Gregor Gysi nicht besser gekonnt!

Zur selben Zeit brillierte auf der Ingolstädter Donaubühne Reinhard Brandl. Nach nur zwei Hieben ließ der CSU-Bundestagsabgeordnete das Freibier für das Fischerstechen fließen. Ja, so was muss man können, wenn man nach Berlin will! Es irritiert allerdings ein wenig, dass Brandl zum Schlegel greifen durfte und nicht der OB-Referent Christian Lösel, dem es schließlich zu verdanken war, dass die verlotterte Bühne vorher richtig sauber gemacht wurde – nach 20 Jahren. Brandl wiederum verdankt Lösel seinen Sitz in Berlin, denn der hat allen Lockungen, er möge doch für den Bundestag kandidieren, eisern widerstanden, was Lösel bis heute als die beste aller Entscheidungen preist.

Allerdings fällt er seither durch eine verdächtig große nebenamtliche Wirkungsfreude auf, denn er ist unter anderem noch ERC-Präsident, Integrationsbeauftragter und zweiter Vorsitzender der Freiwilligenagentur. Am nächsten Sonntag immerhin muss er hinter keinen Wahl-Berliner zurücktreten. Da hat er auf dem Fest des CSU-Ortsverbands Münchener Straße Heimvorteil. Voriges Mal hat es Lösel gar eröffnen dürfen. Er brauchte nur zwei Schläge! Karrierebewussten Jungkonservativen sollte das eine Warnung sein.