Eichstätt
Sprachengenie an der Wolga

26.02.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

Prälat Dr. Michael Glossner mit dem von der russischen Regierung verliehenen Orden um 1875. - Foto: Universitätsbibliothek

Eichstätt (EK) Aus dem Eichstätter Priesterseminar ging im 19. Jahrhundert ein Geistlicher hervor, der ein Sprachengenie war, wie es sicher nur wenige gibt. Prälat Dr. Michael Glossner wirkte in der 1848 gegründeten Diözese Tiraspol, rund 100 Kilometer nordwestlich von Odessa.

Der Bischofsitz für die katholischen Russlanddeutschen war in Saratow an der Wolga. 1877 kam der Priester nach Deutschland zurück, als Pfarrer in Dörndorf.

ANNO DAZUMAL

Michael Glossner wurde 1837 in Neumarkt geboren, besuchte das Gymnasium in Regensburg und dann das Eichstätter Seminar und empfing 1860 auch im Eichstätter Mariendom die Priesterweihe. Er war eine hochinteressante Persönlichkeit. Wie der damalige Mitarbeiter der Universitätsbibliothek, Dr. Mathias Buschkühl, 1993 notierte, fiel er im Seminar schon wegen seiner Kenntnisse in Hebräisch auf. Er erlernte ferner Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch.

Zunächst arbeitete Michael Glossner in Neumarkt als Lehrer, als Militärprediger und in der Lehrerfortbildung. 1864 erhielt er einen Ruf nach Saratow, wo er als Professor für Dogmatik und Philosophie lehrte und Regens des Priesterseminars war. Die Diözese, und damit das Arbeitsgebiet von Michael Glossner, war riesengroß; es umfasste ganz Südrussland.

Der ehemalige Eichstätter Seminarist meisterte die in dem Gebiet gesprochenen Sprachen: Russisch, Polnisch, Armenisch, Persisch und Urdu. Er beherrschte Sanskrit, Arabisch, Türkisch und Chinesisch. Und hier schließt sich auch wieder der Kreis zu Eichstätt: Die von Prälat Glossner auf seinen Orientreisen gesammelte Fülle von Büchern vermachte er der Eichstätter Seminarbibliothek. Sie wurden zu Beginn der 1990-er Jahre ausgestellt – und bewundert.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es für die rund 200 000 katholischen Russlanddeutschen fast keine deutschen Priester. Nun suchte der seit 1861 in Saratow tätige Seminarinspektor Franz Xaver Zottmann, der ebenfalls aus der Diözese Eichstätt stammte, in Eichstätt nach geeigneten Seelsorgern und Lehrern für das Seminar der Diözese Tiraspol. Zusammen mit seinem Jugendfreund Willibald Zottmann folgte Michael Glossner im Jahr 1864 der Einladung nach Russland. Der Seminarinspektor Franz Xaver Zottmann war später und zwar von 1872 bis 1889 Bischof in der Großstadt an der Wolga. Außer den wähnten drei Eichstätter Diözesanpriestern war noch der Kapuzinerpater Beda Sebald vom Kloster Wemding in Russland seelsorgerisch tätig.

Kurios ist übrigens die weitere berufliche Tätigkeit des Geistlichen Michael Glossner 1877 nach seiner Rückkehr aus Russland: Er wurde Dorfpfarrer in Dörndorf im Landdekanat Kipfenberg. Da dies aber nicht so ohne weiteres möglich war, musste er den Pfarr- und Predigtamtskonkurs nachholen. Doch schon im Oktober 1879 holte ihn der Bischof von Regensburg aus der Provinz und ernannte ihn zum Subregens in Regensburg. Seitens der Königlich-Bayerischen Hof- und Staatsbibliothek erhielt er die Erlaubnis, diese Bibliothek von Regensburg aus zu nutzen, sozusagen in Fernleihe.

Bedeutsam für ihn aber war die Mitarbeit im 1887 gegründeten "Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie". Über der Arbeit von Rezensionen an Büchern über das muslimische Spanien und die jüdische Philosophie des Mittelalters starb Michael Glossner am 3. April 1909 als Benefiziat in München. Mathias Buschkühl: "In seinem Testament vermachte er dem Waisenhaus seiner Vaterstadt Neumarkt 8000 Mark und dem Bischöflichen Seminar in Eichstätt seine Bibliothek." Das Verzeichnis umfasst 762 Titel.

Die zaristische russische Regierung hat übrigens die Tätigkeit des Priesters geschätzt und ihn hoch dekoriert. Prälat Glossner war Inhaber des Sankt-Anna-Ordens, des Sankt-Nikolaus-Ordens, des Sankt-Stanislaus-Ordens und des Goldenen Brustkreuzes.

Die Diözese Tiraspol zählte 1922 rund 367 000 Katholiken und 283 Kirchen. 1929 kam es zu einer massiven kommunistischen Kirchenverfolgung. Alle Gotteshäuser wurden geschlossen, die Priester verhaftet und nach Schauprozessen hingerichtet oder ermordet. Die Bücher von Prälat Michael Glossner haben seit der Gründung des Collegiums Orientale im Jahr 1998 bedeutend an Wert gewonnen. Das konnte aber der ehemalige Seminarist nicht ahnen, als er seine Raritäten nach Eichstätt gab.