"So schlecht war ich gar nicht"

Albert Streit war der meistgehasste Profi der Bundesliga – Ein Gespräch über Image und die Hintergründe

23.12.2014 | Stand 02.12.2020, 21:49 Uhr

Auf dem Weg zu einem zufriedenen Menschen: Ex-Fußballprofi Albert Streit freut sich heute über die schönen Dinge des Alltags, wie beispielsweise über seine Familie. - Foto: Ross

Köln (DK) Albert Streit spielte unter anderem für den VfL Wolfsburg, 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt und Schalke 04. Der inzwischen 34-Jährige absolvierte insgesamt 118 Bundesligaspiele.

„Bei Eintracht hatte ich meine schönsten Jahre“, sagt der ehemalige Profi, der bei seinen Stationen immer wieder aneckte.

 

Albert Streit, sind Sie ein zufriedener Mensch?

Albert Streit: Ich denke schon.

 

Haben Sie dennoch eine Erklärung, warum sind Sie bei vielen Klubs im Unfrieden geschieden?

Streit: Ich bin ein ehrgeiziger Mensch. Wenn ich von etwas überzeugt bin, versuche ich meinen Kopf durchzusetzen und neige zur Sturheit.

 

Was im Fußballgeschäft nicht immer ratsam ist.

Streit: Im Nachhinein wäre es sicher schlauer gewesen, meine Gedanken nicht immer auf der Zunge zu tragen.

 

An welcher Stelle wurde Ihnen das erstmals bewusst?

Streit: Am 33. Spieltag der Saison 2005/06 verloren wir mit dem 1. FC Köln mit 0:6 in Bremen. Auf der Rückfahrt rief Manager Michael Meier im Bus an und forderte uns Spieler auf, wir sollten den Auswärtsfans wegen der miesen Leistung die Fahrt bezahlen. Gerade für die jungen Profis wäre das mit enormen finanziellen Aufwendungen verbunden gewesen.

 

Sie entschieden sich dagegen.

Streit: Alle 18 Spieler im Bus sprachen sich spontan dagegen aus. Wir beschlossen, eine andere Aktion für einen guten Zweck zu veranstalten. Bis zum nächsten Morgen waren wir uns alle einig, aber als wir nach dem Auslaufen im Büro des Managers antreten mussten, war ich plötzlich der Einzige, der sich weigerte, dem Wunsch des Managers nachzukommen. Im Beisein des Managers erinnert sich keiner mehr an unsere Verabredung.

 

Nach der sehr erfolgreichen Zeit in Frankfurt kündigten Sie im Sommer 2007 ihren Wechsel zum FC Schalke 04 an.

Streit: Ich wollte den nächsten Schritt gehen und nicht mit verdeckten Karten spielen. Also gab ich meinen Abschied bekannt, was mir einige krumm nahmen. Dann konnten sich die Klubs nicht auf die Ablösesumme einigen, was meinen Wechsel noch bis zum Winter verzögerte. Als ich endlich auf Schalke ankam, hatte ich mit Meniskusproblemen zu kämpfen, was den Start erschwerte.

 

Zudem war die ganze Situation sehr verworren.

Streit: Sie meinen die ständigen Trainerwechsel.

 

Mirko Slomka verließ den Verein, dann kam interimsmäßig Mike Büskens, gefolgt von Fred Rutten.

Streit: Darüber hinaus wurden ständig neue Spieler im offensiven Bereich geholt: Jefferson Farfan und Kevin Kuranyi waren gesetzt, es gab Ivan Rakitic, Vicente Sanchez, Peter Lövenkrands – eine ganze Reihe sehr guter Spieler, die um ein, zwei Positionen konkurrierten.

 

Im Sommer 2009 kehrten Sie nach einer Ausleihe an den HSV nach Schalke zurück. Warum haben Sie sich nicht nach einem neuen Klub umgesehen?

Streit: Ich hatte zuvor eine vielversprechende Anfrage gehabt, aber Schalkes Manager, Andreas Müller, wollte mich nicht gehen lassen. Der Vertrag wäre aufgelöst worden – und ich hätte niemanden auf der Tasche gelegen. Kurz darauf kam Felix Magath, und ich fand mich bei den Amateuren wieder.

 

Magath sagte, er habe bei Ihnen die Einstellung vermisst.

Streit: Zu dieser Beurteilung kam er innerhalb weniger Wochen. Anfangs hatte er sich sehr positiv über mich geäußert, und ich war bei ihm auch regelmäßig im Bundesliga-Kader.

 

Was war das Problem zwischen Magath und Ihnen?

Streit: Bei einem Trainer wie Felix Magath fällt es jedem schwer, das zu tun, was er verlangt. Es gab Spieler, die nach dem Training sagten: „Das geht so nicht weiter, der macht uns kaputt.“ Aber sie waren auch so clever, der Presse zu erzählen, wie fit er uns gemacht hatte. Damit hatte ich Probleme.

 

In einem Interview sagten Sie: „Ich habe den besten Vertrag meines Lebens unterschrieben. Wer verzichtet schon auf so viel Geld“?

Streit: In einem emotionalen Milieu wie dem Fußball ist das keine Formulierung, die bei Fans besonders gut ankommt. Ich erinnere mich bis heute, wie ich den Telefonhörer nach dem Gespräch mit dem Journalisten auflegte. Keine Frage: Den Satz hätte ich anders formulieren müssen. Ich habe mir noch wochenlang den Kopf zerbrochen, wie ich es hätte formulieren sollen, aber ich kam immer wieder zu derselben Überzeugung: In der Sache lag ich richtig.

 

Wann ist Ihnen das Ausmaß Ihrer Aussage bewusst geworden?

Streit: Die Zeit danach war die schwierigste in meinem Leben. Als ich für die Schalke-Amateure gegen Waldhof Mannheim auflief, wurde ich behandelt wie Freiwild.

 

Wo tragen Sie eine Mitschuld an Ihrem ramponierten Image?

Streit: Ich habe mich überall, wo ich gespielt habe, immer voll reingehängt. Mal ehrlich: Wie habe ich sonst den Sprung zu einem Top-Klub wie Schalke 04 geschafft? Sie werden außer Magath keinen Coach finden, der sagt, dass ich nicht bereit sei, hart zu trainieren.

 

Sie wurden die Seuche nicht los. Nach der Zeit bei den Schalker Amateuren, die mit einem Vergleich endete, holte Sie Friedhelm Funkel zu Alemannia Aachen in die 2. Liga . . .

Streit: . . . Wo ich eine wunderbare Zeit erlebte, weil die Leute sich dort nicht beirren ließen. Sie haben mich von Beginn an nach Leistung beurteilt.

 

Am Ende der Saison 2011/12 aber stieg die Alemannia ab und war bald darauf insolvent. Auch Ihre Zeit bei Viktoria Köln ab Januar 2013 in der vierten Liga war von Missgeschicken begleitet. Bei einem Match gegen die U23 des VfL Bochum wurden Sie im Kabinengang in der Halbzeit vom Platz gestellt, weil Sie angeblich Fabian Götze eine Ohrfeige verpasst hatten. Das Sportgericht sperrte Sie für vier Monate.

Streit: Ich kann nur sagen: Ich habe ihm keine gelangt!

 

Wie war es denn?

Streit: Es gab ein Gerangel, aber ich habe ihm keine gelangt. Manchmal kam es mir vor, als würden die Spieler – vielleicht auch wegen meines Rufs – regelrecht Jagd auf mich machen.

 

Am Ende wurden Sie bei Viktoria entlassen, weil Sie nicht mit Pelé Wollitz zurechtgekommen sind.

Streit: Auch das stimmt so nicht. Wollitz hat mir mehrfach gesagt, dass er nicht verstehen könne, dass ein Spieler mit meinen Qualitäten nicht wenigstens einen Klub in der zweiten Liga findet. Eines Tages aber hatten wir ein Trainingsspiel, in der Schlussphase flog der Ball aufs Tor, es sah aus, als wenn er reingehen würde. Doch genau in dem Moment pfiff Wollitz das Spiel ab. Hätte er zwei Sekunden länger spielen lassen, hätte unser Team das Match gewonnen. Da habe ich wortlos abgewunken. Mehr nicht. Aber Wollitz ging sofort hoch: „Was denkst Du Dir? Du glaubst wohl, Du bist hier der große Star.“ Und wieder konnte ich meinen Mund nicht halten und antwortete: „Ich glaube, Du denkst, Du bist hier der Star.“ Am nächsten Tag wurde mir mitgeteilt, dass ich gehen könne.

 

Albert Streit, wieso geht es immer wieder daneben?

Streit: Ich weiß es nicht, wahrscheinlich ziehe ich den Ärger auch an. Klar, dass die Medien auch diese Aktion wieder hochspielten, ohne hinter die Details zu recherchieren.

 

Zählt im Fußball die Wahrheit nichts?

Streit: Schwer zu sagen. Aber wenn ich „Sky“ schaue, weiß ich schon während des Spiels, was Spieler und Trainer nach dem Spiel erzählen. Da sagt keiner mehr die Wahrheit.

 

Sie werden im März 35 Jahre alt. Wie geht es mit Ihrer Karriere weiter?

Streit: Ich habe mir im Februar 2014 in einem Zweikampf im Training bei Fortuna Köln einen Knorpelschaden vierten Grades zugezogen. Schlimmer geht es kaum. Ich könnte es operieren lassen, aber große Hoffnungen auf ein Comeback gibt es nicht. Deswegen bevorzuge ich eine konservative Behandlung. Im Augenblick freue ich mich, es mir leisten zu können, meinen Sohn aufwachsen zu sehen.

 

Zurück zum Anfang: Albert Streit, sind Sie ein zufriedener Mensch?

Streit: Ich bin zumindest auf dem Weg dahin. Inzwischen weiß ich, dass ich es nicht allen recht machen kann. Meine Familie und Freunde müssen zu mir stehen, das ist wichtig. Ansonsten zählt nur Gesundheit.

 

Das Interview führte

Tim Jürgens.