Eichstätt
Skurrile Situationskomik in lakonischem Ton

Ulrich Woelk zu Gast beim Eichstätter Festival "LiteraPur"

05.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:18 Uhr
Preisgekrönter Autor: Ulrich Woelk (links) stellte in Eichstätt seinen aktuelle Roman "Der Sommer meiner Mutter" vor. Hier im Bild mit einem der Organisatoren von "LiteraPur", Michael Kleinherne. −Foto: Buckl

Eichstätt (DK) Respekt: Schon seine achte Auflage erlebt das Eichstätter Lese-Festival "LiteraPur" heuer, doch noch nie war man so nah am pochenden Puls des aktuellen Literaturbetriebs wie in diesem Jahr - gleich die beiden ersten Abende wurden von just gerade jetzt mit angesehenen Preisen dekorierten Autoren bestritten: Nachdem die erst vor zehn Tagen mit dem Chamisso-Preis geehrte María Cecilia Barbetta am Montag zu hören war, bestritt am Dienstag mit Ulrich Woelk der jüngst gekürte Träger des Alfred-Döblin-Peises den zweiten Abend.

Verständlich, dass die Sitzplätze im kleinen Kinosaal des Stadttheaters Eichstätt nicht ausreichten - das Team von Festival-Leiter Michael Kleinherne hatte noch Dutzende Stühle herbeizuschleppen.

Ulrich Woelk stellte rund eine Stunde lang seinen aktuellen Roman "Der Sommer meiner Mutter" vor, in welchem das historische Tableau der ersten Mondlandung im Juli 1969 dazu dient, die doppelte Geschichte elterlicher Wahlverwandtschaften mit den Adoleszenz-Erfahrungen der Kinder beider Paare zu verknüpfen - des elf Jahre alten Tobias und der um zwei Jahre älteren Rosa, Tochter der neu zugezogenen Nachbarn Leinhard. Wobei sich dieser Name davon ableitet, dass die politisch aktiven Eltern, der Vater ein Philosophieprofessor, die Mutter Übersetzerin, Rosa Luxemburg verehren: "Meine Eltern sind Kommunisten", Rosa lakonisch knapp dem verdutzten Ich-Erzähler Tobias aus dem gutbürgerlich-katholischen Köln-Porzer Elternhaus, den die Nachricht irritiert: "Nach allem, was ich über Kommunisten wusste, waren sie bedrohlich, gewaltbereit und eiskalt".

Dennoch kommt es zur sensibel und eher verschwiegen geschilderten Annäherung zwischen den Kindern, die nun merken, dass sie eigentlich keine mehr sind und Gefühle füreinander entwickeln - auch wenn Rosa sich für Vietnam interessiert und die Amerikaner kritisch sieht, während Tobias sich für den Mond, die US-Raumfahrt, Teleskope und Vulkane begeistert.

Seine Geschichte erzählt Woelk in einem lakonischen Ton, der ihn aber nicht daran hindert, skurrilste Situationskomik damit zu transportieren - als sich etwa die beiden Paare und ihre Kinder zum Crocket-Spiel treffen, als Tobias´ 38 Jahre alte Mutter mit dem Gedanken kokettiert, sich eine Jeans zu kaufen, oder als Onkel Hartmut nach dem Start der NASA-Rakete den Versuch unternimmt, ebenfalls mittels einer an der Spitze verzwirbelten Röhre, die er vom Tisch aus entflammt in den Abendhimmel steigen lässt, eine "Rakete" zu bauen - nur, dass dieses nicht ganz so perfekte Kunstwerk ins Trudeln kommt, abschmiert und sofort das durchscheinende Nylongewebe aus der Fransentunika der neuen Nachbarin in Brand setzt.

Wie Woelk auf diesen Stoff gekommen ist? Auf diese Frage aus dem Publikum antwortet der Autor mit einer Erinnerung an eine Sonnenfinsternis, die er mit seiner Familie vor einigen Jahren in den USA erlebte, wobei er sehr zum Verdruss seiner Tochter darauf bestand, zu 100 Prozent in den Kernschatten der Finsternis zu fahren - "99 Prozent waren mir nicht genug". Erinnerungen an seine eigene Kindheit und das Herbeifiebern der ersten Mondlandung wurden wach. Zu Hilfe kam ihm bei der Bewältigung des Stoffes auch der Fund von Super 8mm-Filmen seines Vaters, die er als Quelle nutzen konnte: "Da hatte ich die ganzen 60er und die halben 70er Jahre unmittelbar vor mir. "

An das eigene Erleben der ersten Mondlandung erinnert sich Woelk noch genau: "Eigentlich sah man davon ja nichts, nur die Techniker im Kontrollzentrum Houston. Trotzdem knallten bei den Familien damals die Sektkorken: "Der Mensch ist auf dem Mond! " Eine Lesung, die neugierig machte auf die Lektüre des ganzen Buches!

Walter Buckl