Dachau
Konsequent zeitkritisch und politisch

Katharina Sieverding im Dachauer Schloss: "Am falschen Ort II" stellt Fragen nach Macht, Erinnerungskultur und Identität

05.06.2019 | Stand 23.09.2023, 7:18 Uhr
Hintersinnige Hängung: Da wo einst Porträts der Wittelsbacher zu sehen waren, hat Katharina Sieverding ihre golden schimmernden Selbstbildnisse im Dachauer Schloss platziert. "Am falschen Ort I" von 2017 (rechts) ist eine Bildmontage des Flüchtlingslagers Zaatari an der syrischen Grenze, überlagert von russischen Soldaten, die ein Kampfflugzeug mit Sprengköpfen beladen. Der Titel geht auf die Autobiografie des palästinensisch-amerikanischen Kulturwissenschaftlers Edward W. Said zurück, die von Heimatlosigkeit und innerer Zerrissenheit handelt. −Foto: Fehr

Dachau (DK) Wie immer kommt die Künstlerin ganz in Schwarz, mit dunkler Brille und knallroten Haaren.

Eine beeindruckende Persönlichkeit ist Katharina Sieverding und derzeit in Bayern gleich zweimal vertreten. Erst vor knapp zwei Wochen hat die Pionierin der Fotokunst der 70er-Jahre in Regensburg im Kunstforum Ostdeutsche Galerie eine Kabinettausstellung über ihre in den 90er-Jahren für Furore sorgende Fotoarbeit "Deutschland wird deutscher" eröffnet, nun folgt in Dachau eine große Einzelausstellung im Schloss oberhalb der Stadt.

Möglich gemacht hat die Schau die Volksbank Raiffeisenbank Dachau, die nicht nur über eine respektable Kunstsammlung verfügt, sondern zum zweiten Mal nach Georg Baselitz 2016 ihre 2010 ins Leben gerufene Reihe "Kunst und Bank" auf international renommierte Künstler ausgeweitet hat. Eine beachtliches Unterfangen, das von der Stadt, dem Landkreis Dachau und der Bayerischen Schlösserverwaltung als Kooperationspartner und dem Kulturfonds Bayern gefördert wird.

"Am falschen Ort II" lautet der Titel der Ausstellung, die sich vom Vestibül über das Treppenhaus bis in den prächtigen Festsaal zieht, wo die Kronleuchter unter der historischen Holzdecke abgenommen werden mussten, damit die charakteristischen großformatigen Arbeiten Sieverdings - die 1994 in Prag geboren wurde, im Ruhrgebiet aufgewachsen ist und unter anderem an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat, dort schließlich Meisterschülerin bei Joseph Beuys wurde und früh die Grenzen der Fotografie gesprengt hat - in einer 30 Meter langen Rauminstallation überhaupt Platz finden. Wohl überlegt ist die Werkauswahl, die Sieverdings Hauptthemen durch die Jahrzehnte eindrucksvoll dokumentiert und den stets aktuellen Anspruch sichtbar werden lässt: Macht und Machtanmaßung, Herrschaftslegitimation und Ausgrenzung, Abhängigkeit und Selbstreflexion, Vergangenheitsbewältigung und Erinnerungskultur, globale Zusammenhänge und die Frage nach Identität. Aus den 70er-Jahren stammt etwa das Foto einer China-Reise, auf dem fünf Arbeiter einen schweren Sack nach oben hieven und das den maoistischen Grundsatz "Aus eigener Kraft" illustrieren soll. "Am falschen Ort I" von 2017 hingegen ist eine Bildmontage: ein Foto des Flüchtlingslagers Zaatari an der syrischen Grenze, überlagert von russischen Soldaten, die ein Kampfflugzeug mit Sprengköpfen beladen.

Sieverding geht in Dachau vielfach einen Dialog mit dem historischen Umfeld des Schlosses ein. Zwei Selbstportäts flankieren einen Spiegel, in dem sich der Betrachter mit der Figur des Herkules und des Cerberus inszenieren kann. Oder ihre golden schimmernden Selbstbildnisse aus dem Zyklus "Die Sonne um Mitternacht schauen" hat sie an die Stelle gehängt, wo einst die Porträts der Wittelsbacher Herzöge prangten. Bereits in den 70er-Jahren setzte Sieverding mit ihren bearbeiteten Selbstporträts in vielen Variationen einen Prozess der gesellschaftlichen Selbstbespiegelung in Gang.

Die Biennale- und documenta-Künstlerin mit dem politischen Anspruch und den klaren Statements hat aber auch zwei neue Werke für Dachau geschaffen. Die Einladung, hier auszustellen, hat sie nur unter der persönlich gesetzten Bedingung angenommen, die Geschichte Dachaus als Standort eines der ersten Konzentrationslager des Nazi-Regimes zu thematisieren. Anders hätte sie sich ihre Präsenz hier nicht vorstellen können, sagt sie selbst. In "O. T. I/2019" verschmilzt eine historische Aufnahme von den Lagerbaracken des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau mit den Umrissen der Kuppel des Reichstags in Berlin. Geschichte und Gegenwart überlagern sich, die Montage will Sieverding als Mahnung und Aufforderung an die Volksvertreter, aber auch das Volk, den Souverän verstanden wissen, der Geschichte stets gewahr zu sein und die Lehren daraus zu ziehen. In "O. T II/2019" fällt der Blick wie durch eine Linse durch die Kuppel des Bundestags auf das Lager Sachsenhausen. Im Vestibül des Schlosses steht eine Black Box, in der mal eine rote, mal eine blaue Sonne leuchtet. Aus 200000 Satellitenbilder der Nasa hat Sieverding, die ein Faible für die Energie des Sonnensystems hat, die Animation erstellt. "Ich finde es wichtig, dass man gleich zu Beginn der Ausstellung mit dem Kosmos konfrontiert ist", sagt sie. Die Sonne sei nicht zu kolonisieren, "kein Mensch wird sie je betreten können". So dokumentiert die Ausstellung in vielfacher Weise die beeindruckende Konsequenz Sieverdings für politische, zeitkritische und gesellschaftliche Themen und stellt dem Betrachter die sie selbst umtreibende Frage, ob und inwieweit Kunst wiederständig sein kann. Sie kann es.

Schloss Dachau, bis 15. September, täglich 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.

Katrin Fehr