Ingolstadt
"Sie kommen zu uns, wenn gar nichts mehr geht"

Der Mediziner Karl Reinhard Aigner über die regionale Chemotherapie und wem sie helfen kann

05.06.2014 | Stand 02.12.2020, 22:36 Uhr

Regionale Chemotherapie: Professor Karl Reinhard Aigner (rechts) bei einem Eingriff - Foto: oh

Ingolstadt (DK) Seit über 30 Jahren hat Professor Karl Reinhard Aigner (Foto) die regionale Chemotherapie maßgeblich weiterentwickelt und neue Verfahren erfunden. In seiner Privatklinik in Burghausen behandelt er Patienten mit Tumoren. Im Interview erklärt der 67-Jährige, wem die Methode helfen kann und warum die Pharmaindustrie dagegen ist.

 

Herr Aigner, wie funktioniert die regionale Chemotherapie?

Karl Reinhard Aigner: Wir geben eine sehr hohe Chemo-Konzentration in den vom Krebs befallenen Teil des Körpers. Beim Gebärmutterhalskrebs etwa geben wir das Mittel direkt in die vom Tumor befallene Gebärmutter und die sie umgebenden Lymphknoten. Würde man das Mittel in eine beliebige Vene geben, würde es erst sehr verdünnt im Gebärmutterhals ankommen.

 

Wie genau gehen Sie vor?

Aigner: Wir befestigen Blutdruckmanschetten an den Oberschenkeln – damit isolieren wir diesen Teil des Körpers. Über die Leiste führen wir dann über die Hauptschlagader, die das Blut zum Becken bringt, und die Vene, die es wieder zurückführt, zwei Katheter ein – das sind Schläuche, die vorne je einen Ballon haben. Mit diesen Ballons blocken wir Hauptschlagader und Vene. Das Becken hängt dann an einer Pumpe, denn unterhalb der Ballons sind Löcher, durch welche man das Blut absaugen und über den anderen Katheter wieder hineinlaufen lassen kann. In diesen isolierten Kreislauf geben wir das Chemotherapeutikum – und zwar sehr hoch konzentriert.

 

Welche Nebenwirkungen gibt es?

Aigner: Wenn wir nach dieser sogenannten isolierten Perfusion, was soviel heißt wie Durchspülung, den Kreislauf, den wir abgetrennt hatten, wieder öffnen, kommt schon wieder etwas von dem Therapeutikum heraus. Das belastet dann den restlichen Körper. Aber es ist viel weniger als bei der normalen Chemotherapie – zumal wir anschließend eine Blutwäsche machen, also das verbleibende Medikament abfiltern. Unsere Patienten haben dann nach den etwa zwei Stunden Narkose kaum Nebenwirkungen. Unsere Lungenkrebspatienten stehen mitunter zwei Stunden nach dem Eingriff schon wieder auf der Terrasse und rauchen.

 

Was ist der Unterschied zur klassischen Therapie?

Aigner: Vor allem die bessere Verträglichkeit. Übelkeit und Erbrechen treten in höchstens fünf bis zehn Prozent der Fälle auf. Selten sind auch starke Nebenwirkungen auf das Knochenmark und Blutbild. Nervenschäden gibt es gar nicht.

 

Welche Krankheiten können Sie mit der regionalen Chemotherapie behandeln?

Aigner: Wir können grundsätzlich Patienten mit soliden Tumoren behandeln. Das sind bösartige Geschwülste, die eine oder mehrere zuführende Arterien haben. Hier scheint unsere Behandlung erfolgversprechender, weil die gesamte verabreichte Chemotherapie zunächst in hoher Konzentration den Tumor und seine Umgebung durchflutet. Diese hohe lokale Konzentration führt natürlich auch zu einer viel stärkeren Wirkung am Tumor. Bei der Alternative kommen nur etwa zwei Prozent des Therapeutikums tatsächlich beim Tumor an – 98 Prozent gehen in den Restorganismus, mit all den Nebenwirkungen. Die regionale Therapie greift auf keinen Fall bei Blutkrebserkrankungen, weil dort die Krebszellen überall im Blutzyklus verteilt sind. Da funktioniert es besser, wenn man das Mittel nach der bekannten Methode in den Blutkreislauf hineingibt – denn dann schwimmen die Tumorzellen in dem Chemotherapeutikum. Idealer geht es nicht.


Wie hoch ist die Chance für Ihre Patienten, nach der Behandlung noch länger zu leben?

Aigner: Wir sind keine Wunderheiler. Doch nicht selten reagiert der Tumor wieder auf die regionale Therapie – und zwar auch, wenn er auf die klassische Behandlung nicht reagiert. Das ist bei 80 bis 90 Prozent unserer Patienten der Fall. Sie kommen zu uns, wenn gar nichts mehr geht. Der Zustand der Patienten bessert sich bei uns zunächst erst einmal wieder – das kann Monate oder auch Jahre anhalten. Einige, die ohne Hoffnung zu uns kamen, leben bereits zehn Jahre und länger nach der regionalen Therapie.

 

Warum ist Ihre Methode noch nicht anerkannt?

Aigner: Das Problem ist, dass andere Kollegen die Methode erst noch lernen müssen. So lange sie jedoch noch kaum jemand beherrscht, akzeptiert sie auch niemand. Wir haben natürlich einen Antrag bei den Krankenkassen gestellt. Dieser wird dann von einem Obergutachter vom medizinischen Dienst nach allgemeiner Datenlage – in aller Regel ungeachtet des klinisch gebesserten Zustandes des Patienten – beurteilt und abgelehnt. Viele Patienten klagen dann. Doch nur wenige bekommen Recht, weil die Anträge nach Gesetzeslage sowie Paragrafen und nicht nach dem tatsächlichen klinischen Ergebnis und Gesundheitszustand des Patienten beurteilt werden.

 

Und Ihre Methode steht immer noch nicht in den Leitlinien der Ärzte...

Aigner: Genau. Trotzdem liegt die Verantwortung auch bei den behandelnden Ärzten. Leitlinien stellen keine absoluten Behandlungsvorschriften dar, sondern beschreiben minimale fachliche Ansprüche an die Behandlung. So sind oft moderne und aktuelle Therapien in den Leitlinien nicht vorhanden, trotzdem sollen unsere Patienten schonend und modern behandelt werden. Leitlinien sind keine Zwangsjacken, weder für Ärzte noch für Krankenkassen. Ärzte müssen auch etwas anderes machen dürfen, wenn das für den Patienten besser ist.

 

Was muss jetzt passieren?

Aigner: Die Leitlinien sind ja änderbar. Ich glaube schon, dass unsere Methode dort aufgenommen und somit auch von den Kassen übernommen werden wird. Mittlerweile sind große Kassenverbände interessiert. Zum Glück gibt es auch einige Universitätskliniken, die die Methode nun lernen und anwenden wollen, etwa die chirurgische Abteilung in der Uniklinik Gießen. Auch in München interessieren sich zwei Institute dafür.

 

Was sagen denn die Pharmariesen zu diesen Entwicklungen?

Aigner: Die sind natürlich dagegen. Wir behandeln oft mit nur wenigen Therapien. Es ist viel günstiger, wenn man jemanden vier bis sechs Mal zur Behandlung in der Klinik hat statt wie bei der Leitlinientherapie üblich über zwölf Mal. Außerdem verwenden wir nicht die modernen Antikörper, die pro Therapie bis zu 60 000 Euro und darüber hinaus kosten. Vor diesem Hintergrund kann unsere Methode nicht von der Industrie unterstützt werden.

 

Wie viel kosten die Behandlungen im Vergleich?

Aigner: Bei uns kostet ein Block von vier Therapien nur etwa 50 000 Euro. Bei der Leitlinienbehandlung kann es sein, dass eine einzige Spritze schon 15 000 bis 20 000 Euro kostet. Die neuen, teuren Medikamente der Pharmaindustrie verlängern das Leben aber generell nur wenige Wochen oder ein paar Monate. Oder sie verlängern nur die Zeit, bis der Tumor wieder wächst – auch wenn das Leben gar nicht verlängert wird. Diese Messweise wird von Wissenschaftlern jetzt immer mehr kritisiert. Denn sie hat eigentlich gar keine Relevanz. Den Patienten kostet es nur viel Geld und Lebensqualität.

 

Das Gespräch führte

Desirée Brenner.