Ingolstadt
Senten so genacht!

Folke Braband setzt "Pension Schöller" als großen Klamauk im Stadttheater Ingolstadt in Szene

29.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:04 Uhr
Expressive Dichterlesung in der "Pension Schöller": Josephine Zillertal (Renate Knollmann, vorn) ist in ihrem Element. −Foto: Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Schinner, Nessing, Kneist: Eugen Schönner - pardon - Schöller kennt sie alle, verehrt sie, würde so gern ihre Werke auf der Bühne deklamieren.

Allein: Sein Sprachfehler macht eine Bühnenkarriere zunichte. Meint zumindest sein Onkel Ludwig. Wer kein "l" sprechen kann, könne kein Schauspieler werden. Aber Eugen lässt sich nicht beirren. Und spricht jedem vor, der ihm zuhört: Othenno, König Near, Winhenm Tenn. In Philipp Klapproth findet er einen geduldigen Zuhörer. Denn der hält Eugen für verrückt - und mimt den verständnisvoll-kunstsinnigen Theaterfan. Auch der Schriftstellerin Josephine Zillertal, dem passionierten Löwenjäger Dr. Bernhardy und dem stiefelknallenden Major a. D. attestiert Klapproth Nervenkrankheiten in unterschiedlichen Ausprägungen - und amüsiert sich beim Studium derselben prächtig. Dabei ist alles nur ein großes Missverständnis.

Klapproth, ein exzentrischer Gutsbesitzer aus Kyritz an der Knatter weilt zu Besuch in der Großstadt Berlin - und würde so gerne mal einen Ausflug in eine Nervenheilanstalt machen. Er spielt mit dem Gedanken, selbst so ein Sanatorium zu eröffnen, um dem Apotheker vom heimischen Stammtisch eins auszuwischen. Kurzerhand verkauft ihm sein Neffe Alfred die "Pension Schöller" als Irrenhaus. Nicht ganz zu Unrecht, denn die Bewohner pflegen alle ein wenig kapriziös zu sein. Für Philipp ist es ein vergnüglicher Abend. Doch als die vermeintlich Verrückten wenig später auf seinem Gut in Kyritz auftauchen, bricht das Chaos aus.

"Pension Schöller" ist ein Lustspiel von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby, mit einem lärmigen Verwechslungstohuwabohu, mit Türenknallen, überdrehten Dialogen und sprachwitzigen Pointen. 1890 wurde es in Berlin uraufgeführt und ist seither von den Spielplänen nicht mehr wegzukriegen ist. Auch zahlreiche Verfilmungen (u. a. mit Willy Millowitsch, Harald Juhnke oder zuletzt Volker Heißmann) zeugen von seiner komödiantischen Schlagkraft. Für das Stadttheater Ingolstadt hatte man Folke Braband mit der Inszenierung betraut. Der verlegte die Spielzeit in die 50er-Jahre und ließ sich von seinem Ausstatter Stephan Dietrich zunächst mal wunderschöne Räume bauen: eine Berliner Eckkneipe direkt an der Kreuzung Laufs-/Jacobystraße (als kleine Hommage an die Schöpfer der Gaudi), wo die Tische zum Klavierspiel des Kellners aus der Unterbühne hochfahren, später den Salon der "Pension Schöller" in angeranzter Pracht samt rotem Sofa und Grammophon und schließlich das ländliche Anwesen der Klapproths als eingerahmte Idylle, wo die Kühe muhen, der Hahn kräht und drei Türen und ein Schrank einen munteren Tür-auf-Tür-zu-Aufruhr in Aussicht stellen.

In diesen herrlichen Kulissen breitet Regisseur Folke Braband das Spiel um Normalität und Wahnsinn aus. Alles nämlich eine Frage der Perspektive. Natürlich hat er den Text bearbeitet, modernisiert, hier angereichert, dort abgespeckt. Die Figuren bringt er alle hochtourig an den Start, um zu verdeutlichen: Normal ist hier keiner. Ihre Bewegungen sind präzise choreografiert, da wird nicht gegangen, sondern geschritten, da gibt es Konversation im Tangotakt. Und weil die Schauspieler allesamt ihr Handwerk aufs Beste beherrschen, schmücken sie ihre outrierten Figuren verwegen aus, trotzen ihnen Macken und Schrullen ab. Allen voran Renate Knollmann als exaltierte Schriftstellerin Zillertal, die ihre Schmonzetten gerne mal auf anderer Leute (fiktive) Biografien gründet und sie in ungezügelten Performances unters Volk bringt. Matthias Zajgier ist mit seinem kunstvoll dargebrachten Sprachfehler Running Gag des Abends. Und Peter Reisser wird in der Rolle des Philipp Klapproths mit ausgestopftem Wirtschaftswunderbauch zum augenzwinkernden Verbündeten der Zuschauer. Victoria Voss und Sarah Horak überzeugen in absolut gegensätzlichen überspannten Doppelrollen, Felix Steinhardt setzt auf schräge Buster-Keaton-Komik. Olaf Danner brilliert als Oberst in kühner Detailversessenheit, Richard Putzinger als großmäuliger Großwildjäger. Dagegen sind Ulrich Kielhorn und Péter Polgár schon fast normal.

Die Welt als Irrenhaus: Bei so einer Komödie zählt vor allem handwerkliches Können. Folke Braband legt ein geschmeidiges Tempo vor, setzt auf Rhythmus, Gagdichte, einen charmanten Look (die Kostüme. ) und immer wieder auf das Unerwartete: Comic-Geräusche, musikalisches Pathos (Sound: Felix Huber), Komik aus Chaplin-Filmen. Gelacht wird viel in diesen zweieinhalb Stunden. Dass nicht alle über alles gleich lachen können, ist klar. Dass trotzdem für (fast) jeden was dabei ist, beweist der lange Applaus am Ende.

Vorstellungen im Großen Haus bis 3. Juni, am 6. Mai gibt es vor der Vorstellung um 14 Uhr eine Einführung im Foyer (Beginn: 13 Uhr). Kartentelefon (0841) 30547200.
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Anja Witzke