Altmannstein
Schulleiter Feigl: "Den Blick auf das Wesentliche gelenkt"

21.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:02 Uhr
Bilanz: Schulleiter Richard Feigl blickt auf ein anstrengendes, aber auch lehrreiches Schuljahr zurück. −Foto: Schmeizl

Altmannstein - Ein besonderes Schuljahr geht zu Ende, eines, das alle Beteiligten vor große Herausforderungen gestellt hat - auch den Altmannsteiner Rektor Richard Feigl. Im DK-Interview blickt er zurück und berichtet über das vergangene Halbjahr während der Corona-Pandemie, über die Chancen und Grenzen des Online-Unterrichts und wieso die Krise einmal mehr gezeigt hat, dass Schule so viel mehr ist als ein Ort der reinen Wissensvermittlung.

Herr Feigl, ein herausforderndes Schuljahr liegt hinter Ihnen. Von heute auf morgen sind Mitte März die Schulen wegen der Corona-Pandemie geschlossen worden. Unterricht fand auf einmal nur noch zu Hause vor dem Bildschirm statt, von jetzt auf gleich gab es nicht mehr nur das Wort Home-Office, sondern auch Home-Schooling, das viel von den Schülern, Lehrern, Eltern und Schulleitern abverlangte. Sind Sie ferienreif?

Richard Feigl: Absolut. Es war eine sehr anstrengende Zeit. Es standen wichtige Entscheidungen an, für die ich als Schulleiter an meiner Einrichtung die Verantwortung übernehmen musste. Nach der Zeugnisübergabe am Freitag wird deshalb viel Druck und Anspannung abfallen. Ich freue mich darauf, in den Ferien mit meiner Familie Zeit zu verbringen und Kraft zu tanken. Das ist wichtig, denn ich gehe davon aus, dass die Aufgaben im kommenden Schuljahr keinesfalls kleiner werden.

Was hat Ihnen diese besondere Zeit während der Pandemie als Schulleiter vor Augen geführt?

Feigl: Zum einen hat die Coronakrise den Blick auf das Wesentliche gelenkt. Das gilt auch für das Unterrichten: In der Grundschule wurde der Fokus auf das Rechnen, Schreiben und Lesen gesetzt, in der Mittelschule auf die Grundfertigkeiten in Deutsch, Mathematik und Englisch. Man kann in einer Notzeit, wie wir sie jetzt erleben, viel weglassen - ich vergleiche das mit der Zeit nach und während des Krieges, in der das Unterrichten auch nur eingeschränkt möglich war. Ich bin dennoch davon überzeugt, dass wir unseren Schülern in den Kernfächern alle Kompetenzen beigebracht haben, die sie für das kommende Schuljahr brauchen. Zum anderen ist mir aber vor Augen geführt worden, wie sehr uns alles andere fehlt: der Sport, die Bewegung, das gemeinsame Arbeiten in der Gruppe, der Musikunterricht, die Fächer, in denen es nicht nur ums reine Stoffpauken geht, sondern in denen die Schüler über die Welt und das Zusammenleben lernen. Außerdem ist mir noch einmal bewusst geworden, wie entscheidend die Gemeinschaft an der Schule ist - das gemeinsame Lachen, soziale Nähe, Gesten, die wir vor der Pandemie als selbstverständlich erachtet haben - und sei es nur die Begrüßung mit einem Handschlag. All das fehlt unendlich.

Wurde Ihnen auch noch einmal gezeigt, wie wichtig der Präsenzunterricht ist?

Feigl: Wir haben in der Digitalisierung durch die Coronakrise einen riesigen Sprung nach vorne gemacht und sehr viel dazugelernt. Wir haben gemerkt, welche Vorteile die Digitalisierung mit sich bringt und welche digitalen Mittel sinnvoll sind - zum Beispiel Videokonferenzsysteme oder das Arbeiten in der Cloud. Trotzdem hat sich aber auch gezeigt: Der Präsenzunterricht und der Lehrer sind unersetzbar. Er ist es, der die Glut des Wissens bei den Schülern entfacht.

Was sind die Grenzen des Online-Unterrichts?

Feigl: Der Online-Unterricht gerät an seine Grenzen, wenn anspruchsvolle Lerninhalte vermittelt werden sollen. Oftmals müssen dann Eltern als Hilfspädagogen einspringen. Das ist jedoch natürlich auf Dauer für sie nicht leistbar und auch nicht ihre Aufgabe. Auch kann das Online-Lernen Schülern mit Migrationshintergrund, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben, Probleme bereiten. Als Lehrer ist es außerdem deutlich schwieriger, im Online-Unterricht den Schülern Werte zu vermitteln. Als Religionslehrer kann ich im Klassenzimmer eine Atmosphäre schaffen, um emotionale Inhalte zu transportieren. Das funktioniert über digitale Kanäle weit weniger gut. Und natürlich ist das digitale Lernen nur dann möglich, wenn den Schülern entsprechende Geräte und das Equipment zur Verfügung stehen.

Kritiker sagen, dass die Coronakrise vor allem eines offen gelegt hat: die Versäumnisse in der Digitalisierung. Im April haben Sie im Gespräch mit unserer Zeitung die Krise aber zuallererst als Chance begriffen. Wie sehen Sie das heute?

Feigl: Ich sehe das heute noch genauso. Die Krise ist im digitalen Bereich eine Chance, auch an den Schulen. Man hatte jetzt Zeit, um auszuprobieren, was beim digitalen Lernen sinnvoll ist. So konnten wir für unsere Schule für die kommende Zeit ein Konzept entwerfen, das vorgibt, welchen Weg wir digital gehen möchten.

Halten Sie es für realistisch, dass nach den Sommerferien wieder regulär Unterricht stattfindet? Also ,Schule as usual'?

Feigl: ,Schule as usual' - das ist auf jeden Fall die Planungsgrundlage für das neue Schuljahr. Wenn sich alle im Sommer vernünftig verhalten und das Infektionsgeschehen weiterhin niedrig bleibt, könnten wir im September regulär beginnen. ,Schule as usual' - das ist bei Kultusminister Michael Piazolo Szenario A: Präsenzunterricht in Klassen mit bis zu 28 Schülern und in voller Stundenzahl - und unter Einhaltung der Hygieneauflagen. Es wäre natürlich unser großer Wunsch, dass dieses Szenario eintritt.

Ist es überhaupt möglich, bei 28 Kindern im Klassenraum die Hygieneregeln einzuhalten?

Feigl: Schwerlich. Die Abstände können bei 28 Kindern nicht gewahrt werden. Dann bräuchten wir eigentlich die Maskenpflicht im Klassenzimmer - ob ein Unterricht so stattfinden kann, daran habe ich allerdings meine Zweifel.

Was ist mit den Szenarien B, C und D, von denen Piazolo in Bezug auf das neue Schuljahr kürzlich gesprochen hat?

Feigl: In Szenario B tauchen einzelne Corona-Hotspots auf, sodass einzelne Klassen oder Schulen in Quarantäne müssten. Szenario C würde bedeuten, dass sich das Infektionsgeschehen in ganz Bayern erneut steigert und wieder ein Wechsel zwischen Präsenz- und Distanzunterricht stattfinden muss - also die Form, die seit den Pfingstferien praktiziert wird. Das Szenario D beinhaltet den kompletten Shutdown der Schulen und Kindertageseinrichtungen, für den Fall, dass es wieder zu einem massiven Ausbruch der Pandemie kommen sollte. Wir planen derzeit den regulären Schulbetrieb - also Szenario A. Gleichzeitig überlegen wir uns aber natürlich einen Fahrplan, was getan werden muss, falls nach den Ferien das Infektionsgeschehen wieder deutlich anzieht.

Meinen Sie, Szenario C wäre den Eltern überhaupt zumutbar?

Feigl: Mir ist bewusst, dass die Eltern an der Grenze des Leistbaren sind. Gerade bei den jüngeren Schülern sind die Mütter und Väter zu Hause sehr gefordert. In vielen Familien ist der Urlaub aufgebraucht, die Überstunden abgebaut - und die Nerven liegen blank. Würden wir jetzt beabsichtigen, im neuen Schuljahr so weiterzumachen wie im alten bin ich mir sicher, dass das viele Eltern nicht mehr leisten könnten. Deshalb planen wir auch mit einem regulären Schulbetrieb für September, bereiten uns aber auch auf Alternativszenarien vor.

Inwiefern halten Sie es für sinnvoll, dass Kinder die Sommerferien nutzen, um Lücken, die während der Coronakrise entstanden sind, zu schließen?

Feigl: Die Kinder brauchen Ferien. Sie benötigen die Zeit zum Durchatmen, zum Akkusaufladen. Grundsätzlich ist es aber natürlich sinnvoll, in einer vernünftigen Dosis mögliche Defizite, die vielleicht während des Schuljahres entstanden sind, in den Ferien aufzuarbeiten. Sechs Wochen sind lang, in dieser Zeit kann viel vergessen, aber auch ganz viel aufgeholt werden - zum Beispiel indem Kinder vormittags eine Stunde investieren, um zu wiederholen, wobei der Nachmittag für die Schüler zur freien Verfügung stehen soll. Auch kann ich als Elternteil versuchen, mit dem Kind spielerisch Stoff zu wiederholen - zum Beispiel während des Kochens ein paar Einmaleins-Aufgaben üben oder beim Besuch im Freibad die Englisch-Vokabeln abfragen.

Kann im September mit den Lehrplänen einfach wieder angefangen werden, als wäre nichts gewesen, oder müsste man nicht dort weitermachen, wo im März aufgehört wurde?

Feigl: Jeder Lehrer überprüft am Anfang des Schuljahres, wo die Klasse steht, um herauszufinden, welche Defizite entstanden sind, welche Inhalte über die Ferien verloren gegangen sind und wiederholt werden müssen. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Nach dieser Phase gelten dann aber die normalen Regeln mit regulären Lehr- und Stundenplänen, sodass die Schüler wieder in gewohntem Umfang gefordert werden. Das ist auch notwendig, denn wir können nicht einfach so weitermachen wie in den vergangenen Monaten.

Wenn Sie die vergangenen Monate Revue passieren lassen, welche Bilanz ziehen Sie?

Feigl: Es war für uns alle eine wertvolle Zeit, die uns zwar oft an unsere Grenzen gebracht hat, aber auch überaus lehrreich war. Wir haben gelernt, dass wir ungewöhnliche Situationen gut meistern und improvisieren können. Außerdem wurde mir einmal mehr vor Augen geführt, wie sehr ich mich auf mein Kollegium verlassen kann und wie wichtig die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern ist. Stolz bin ich vor allem auf meine Schüler, die die ungewohnte Situation gut gemeistert und im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Bestes gegeben haben. In der Coronakrise habe ich außerdem wieder gemerkt, wie wichtig auch die Aktivitäten sind, die über den normalen Unterricht hinausgehen - zum Beispiel die Ausflüge und Feste, die heuer nicht stattfinden konnten. Schule ist eben viel mehr als ein Ort der reinen Wissensvermittlung. Es ist ein sozialer Lebensraum, in dem auch Werte, Haltungen und Gemeinschaft vermittelt werden. Mir persönlich hat die Coronakrise bewusst gemacht, wie wichtig es ist, den Blick auf das Wesentliche zu richten. Man lernt auf einmal die kleinen Dinge wieder mehr zu schätzen, sogar ein Lächeln, weil es zurzeit meistens hinter einer Maske versteckt werden muss.

DK

Das Gespräch führte

Xenia Schmeizl