Schule lässt Hochbegabte allein

15.01.2010 | Stand 03.12.2020, 4:20 Uhr

Christopher Ohrt hat eine besondere Begabung für Mathematik. Das ist seinem Lehrer erst in der 8. Klasse aufgefallen. Seit der 11. Klasse studiert er an der Universität in Regensburg. - Foto: oh

Abensberg/München (DK) Die Geschichte von mathematischen Genies ist schon oft verfilmt worden. "Good Will Hunting" etwa: Ein Professor entdeckt die junge Putzkraft Will Hunting, da er mühelos die für Studenten ausgeschriebenen Examensaufgaben löst. Matt Damon spielt den außergewöhnlich begabten Will, der an sich und seiner Lebenssituation zu scheitern droht. Wäre da nicht Robin Williams , der ihm hilft, seinen Weg zu finden.

Soweit der Film. Doch die Realität für hochbegabte Schüler in Bayern sieht meist anders aus. Zwei Prozent eines jeden Jahrgangs sind hochbegabt, am Gymnasium sogar bis zu fünf Prozent. Davon geht man heute aus. Christopher Ohrt aus Abensberg (Kreis Kelheim) ist einer von ihnen. Der 19-Jährige besucht das Benediktiner-Gymnasium in Rohr (Kreis Kelheim) und macht heuer Abitur. Was seine mathematische Hochbegabung angeht, ist der Schüler auf sich gestellt.

Privatschule zu teuer

Eine Hochbegabten-Klasse gibt es an seiner Schule nicht, die gibt es nur an acht Gymnasien in ganz Bayern. Auf eine Privatschule schicken konnten ihn seine Eltern nicht, dazu waren sie nicht wohlhabend genug. Der Schulunterricht forderte ihn nicht. "Man bekommt fertige Formeln an die Hand, um Lösungen nach Schema F zu finden. Mathematik beginnt aber dort, wo es Probleme gibt und die Lösungswege erst gefunden werden müssen", sagt der 19-Jährige.

Erst in der 8. Klasse hat ein Lehrer zufällig seine Sonderbegabung bemerkt. Nachdem sein Ergebnis bei einem Mathe-Test aus dem Rahmen fiel, legte ihm ein Lehrer die Aufgaben vom Landeswettbewerb Mathematik vor. "Das solltest du lösen können", habe der damals gesagt. Aus dem Stand holte der Jugendliche den zweiten Preis. Dann durfte er zum Siegerseminar des Vereins "Quod erat demonstrandum" (Lateinisch: Was zu beweisen war), kurz QED. Von da an nahm der Jugendliche sein Leben selbst in die Hand.

Der Verein QED ist ein Netzwerk von hochbegabten Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Bayern und zählt rund 200 aktive Mitglieder. Es sind Menschen mit Spaß an der ganzen Mathematik, jenseits von Schulbüchern. In Ferien-Akademien und Seminaren auf Uni-Niveau, die sie selbst organisieren, entfliehen sie dem Schulunterricht, der kaum auf ihrer Bedürfnisse eingeht. Der Verein wurde im Januar vor zehn Jahren gegründet. Die Veranstaltungen finden vier Mal im Jahr an wechselnden Orten in Bayern statt. Darauf möchte Christopher Ohrt nicht mehr verzichten.

Außerdem ist Ohrt seit der 11. Klasse Frühstudent an der Universität Regensburg. Dabei ist der fachliche Aspekt ebenso wichtig wie der soziale. "Die wenigsten von uns haben daheim jemanden, mit dem sie sich austauschen können", sagt er. Seit er die Seminare besucht, weiß er auch: "Ich bin kein Einzelgänger." Kinder, die mehr brauchen als das Mittelfeld, haben es im Schulsystem schwer. Das gilt für Lernbehinderungen ebenso wie für Hochbegabungen. "Das deutsche Schulsystem reagiert hilflos auf solche, die nicht in das normale Spektrum hineinpassen", sagt Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrerinnen und Lehrerverbandes (BLLV). Er fordert, vor allem die Lehrerbildung für Sonderbegabungen zu verbessern.

Will Begabung ausleben

Natürlich kennt auch Christopher Ohrt den Kinofilm "Good Will Hunting". Matt Damon habe das Mathe-Genie gut gespielt. Dennoch analysiert der Abiturient nüchtern, dass die Probleme woanders liegen. Bei Hunting habe die Einordnung in die Gesellschaft nicht geklappt. "Unser Problem ist eher, die Begabung auszuleben", sagt Ohrt. Die Anerkennung in der Clique habe er auch so.