München
Schriller Psycho-Klamauk

Uraufführung von René Pollesch’ "Gasoline Bill" in den Münchner Kammerspielen

19.11.2013 | Stand 02.12.2020, 23:24 Uhr

Misslungene Persiflage auf das boomende Geschäft mit Selbstfindungs-Kursen: Szene aus „Gasoline Bill“ - Foto: Blievernicht

München (DK) Ein in allen Farben bunt glitzernder Lamettavorhang weht in der Bühnenzugluft hin und her. Dahinter ein adrettes Blockhaus mit Matratzen und Kissen im Inneren und den Aufschriften „Last Chance“ und „Keep out“. Die letzte Chance vor dem finalen Rausschmiss aus der Gesellschaft nutzen denn auch vier schrullige Psychofreaks. An der Rampe sitzen sie zunächst in Cowboy-Kluft und Cowgirl-Klamotten, schwatzen wild vor sich hin, qualmen um die Wette und pusten den Zigarettenrauch dem Publikum in den ersten Reihen ins Gesicht. Später schlüpfen die zwei Mädels in mondäne Abendkleider und die beiden Männer ins Faschingskostüm.

Gaudi ist angesagt zum ernsten Thema. Denn von all ihren frühkindlichen Traumata, von den tief sitzenden pubertären Problemen und späteren seelischen Deformationen sollen sie sich durch intensive Gespräche und Interaktionen in der Gruppe befreien. Zumindest hat ihnen das wohl ein Psychotherapeut empfohlen. Und so palavern sie ohne Punkt und Komma vor sich hin, schwadronieren über Gott und die Welt, quasseln sich durch ihre Psychohöllen und zitieren halb vergorene Maximen von Sigmund Freud. Ohne Unterlass`faseln sie von Erlösung und Selbstbestimmung, vom Titel gebenden ominösen Tankstellen-Bill und hinterfragen monomanisch ihre zwischenmenschlichen Beziehungen. Dazu ereifern sie sich über Liebe und Tod, über ihre Urschrei-Erfahrungen und ihre realen und imaginären Alltagserlebnisse.

Wild gestikulierend labern sie sich voll und zu, brüllen, toben, schreien, flirten und reden vor allem stets aneinander vorbei. Sie giften sich hyperdramatisch an, um sich anschließend demütig zu versöhnen. Vier begnadete Selbstdarsteller kehren ihr Innerstes nach außen und buhlen um die Vorherrschaft in ihrem Seelenstriptease-Quartett. Und um ihren Aggressionsstau abzubauen, lassen sie das Holzhäuschen im symbolischen Wilden Westen (von Bert Neumann) in atemberaubender Geschwindigkeit rotieren, springen durch die Fenster und Türen, hüpfen wie beim Kindergeburtstag auf den Matratzen und erfreuen sich an Luftballon-Wettbewerben und wüsten Kissenschlachten.

Was das alles soll? René Pollesch wollte als Autor und Regisseur der Uraufführung seines „Gasoline Bill“ in den Münchner Kammerspielen wohl eine Persiflage auf das boomende Geschäft mit Neurosen-Workshops und Selbstfindungs-Meetings servieren und landete dabei in einer absolut sinnfreien Klamotte für vier exzellente Komödianten: Katja Bürkle gibt die coole Selbstbewusste ab und Sandra Hüller das Mäuschen, das zum hysterischen Girlie mutiert, während Kristof Van Boven den Macho mimt und Benny Claessens als gestenreicher und mitleidenswert schwitzender Möchtegern-Adonis das tuntige Weichei abgeben muss. Doch wenn alle vier eine restlos ausgeflippte Bühnenshow à la Michael Jackson selig persiflieren, da geht die Post ab.

Eineinhalb Stunden dauert dieser Psycho-Trash in schriller Comic-Manier. Das genügt ja auch. Das Comedian-affine Premierenpublikum jubelte und kreischte.

Weitere Aufführungen sind für den 21. und 25. November angesetzt sowie am 4., 12. und 19. Dezember. Kartentelefon: (0 89) 23 39 66 00.