Schönheit und Erotik

14.04.2011 | Stand 03.12.2020, 2:56 Uhr

Lot und seine Töchter: Eines der Bilder, die bis 17. Juli in der Alten Pinakothek zu sehen sind.

München (DK) Bilder der Prostitution waren einer der Verkaufsschlager von Lucas Cranach dem Älteren. Der fast zahnlose Alte, der gierig die Taille einer jungen, schönen Frau umschlingt, die seinen Geldsack mit den Goldmünzen schon in der Hand hält, waren offensichtlich besonders bei Adeligen beliebt, die an dieser Zurschaustellung von Weiblichkeit, Schönheit und Lüsternheit ihren Gefallen fanden.

Der berühmte Maler des 16. Jahrhunderts fertigte Bilder dieser Art in Serie – drei davon sind jetzt in der Alten Pinakothek zu sehen, wo zum 175-jährigen Jubiläum des Hauses die Ausstellung "Cranach in Bayern" zu sehen ist.
 
Ein einziger Raum, dicht bestückt mit 29 Gemälden aus der Alten Pinakothek und fünf Zweiggalerien Bayerns, die auf grauen Wänden und unter gedimmten Lichtspots ihre ganze Pracht der Farben entfalten – hier werden die Themenkomplexe dieses Meisters aufgeblättert, der neben Dürer, Altdorfer, Grünewald, Holbein dem Jüngeren und Hans Baldung Grien zu dem deutschen Malerkosmos des 16. Jahrhunderts gehört. Tausend Werke seiner Hand und seiner Werkstatt haben sich erhalten – und das ist nur ein Fünftel dessen, was sein Atelier verließ.
 

Porträts des Reformators Martin Luther entstanden in Serie – die Ausstellung zeigt ein Beispiel aus der Galerie Zweibrücken, gemalt 1533 auf Buchenholz. Szenen aus dem Alten und Neuen Testament – besonders kurios mutet der "Zug der Israeliten durch das Rote Meer" an. Die schwierige Aufgabe, eine Wasserwand zu malen, die sich auftürmt und in deren Fluten dann die Ägypter mit Mann und Maus ertrinken, löst Cranach durch eine Art Wasserwolke, die sich wie ein rosiger Nebel auf das Heer senkt. Das, wenigstens dieses, ist ihm malerisch nicht gelungen.

Aber welch eine Psychologie, so Kurator Martin Schawe, offenbart sich in einem Werk wie "Christus und die Ehebrecherin" von 1520! Der Gottessohn und die junge Frau sind in makelloser Schönheit gemalt, einander zugeneigt und der Mittelpunkt des Bildes. Links von ihnen drängen sich diejenigen, welche die Brocken für die Steinigung schon in der Hand halten: derbe Gesellen, brutal und raufsüchtig, das verraten ihre Fratzen. Wenig später, das lässt sich schon ahnen, werden sie Jesus selbst prügeln und foltern. Auf der rechten Bildhälfte aber jene, die Jesu Worte erreichen: "Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein." Nachdenklich schauen diese gebildeten Männer, sie beraten sich, ihnen kommen Zweifel am eigenen Urteil. Und der Betrachter des Bildes, so die Absicht Cranachs, mag entscheiden, auf welche Seite er sich schlägt.

Cranach, das wird hier deutlich, hatte ein Gespür für jene Schönheit, die das Gute repräsentiert. Die Ehebrecherin in ihrem kostbaren Gewand und mit ihren verspielten blonden Löckchen ist nicht im Abseits, sondern im Zentrum des Lehrbildes. Sie legt ihre blasse Stirn in Falten – auch sie reflektiert ihr Tun und wird verwandelt werden vom Wort Jesu. Ganz ähnlich die Aussage der "Kreuzigung Christi" von 1503. Es ist dies ein Hauptwerk Cranachs und – innovativ wie selten – eine Darstellung dieses Geschehens. Cranach thematisiert den Blick zwischen Maria auf der linken Bildhälfte und dem gekreuzigten Gottessohn rechts. Dafür dreht er den gesamten Golgatha-Hügel so, dass die drei Kreuze ein Dreieck im Raum bilden. Jesus sehen wir also von der Seite – und sein Körper hat im Sterben jene überhöhte Schönheit, die durch das frei schwebende Lendentuch noch verstärkt wird. Dem Spiel der Muskeln auf dem schlanken Leib des Sterbenden entsprechen die Faltenwürfe in den kostbaren Gewändern von Maria, die ihre Hände ringt, und Johannes, der seine Hände betend faltet. Plump und derb sind dagegen die gekreuzigten Schächer dargestellt.

Es ist ein Gewinn, dass diese intime Ausstellung eine große Nähe erlaubt zwischen Bild und Betrachter. Sobald sich die Augen eingesehen haben in das feierliche Dämmerlicht, erkennen sie Details, die in einer großen Bildergalerie leicht übersehen werden. Und so lassen sich die Landschaften mit ihren bewaldeten Auen ebenso studieren wie die erotischen Rundungen der kaum verschleierten Lucretia und der Garten des "Goldenen Zeitalters" mit seinen Margeriten, Erdbeeren, Nelken und Rosen. Denn Cranach-Bilder sind ein Fest für die Augen.