Ingolstadt
Schneider Helge im Glück

Berliner Puppenspieler Daniel Wagner begeistert das Ingolstädter Publikum

11.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:12 Uhr
Die Riesen Klaus und Hans werden von Schneider Helge überlistet. Daniel Wagner spielt "Das tapfere Schneiderlein". −Foto: Zinnecker

Ingolstadt (DK) Das Einhorn zielt, nimmt Anlauf und rammt dem Schneider sein spitzes Horn mit solcher Wucht durch den Körper, dass der quasi an den Baum genagelt wird. "Halt", sagt Daniel Wagner plötzlich mit leichtem Schrecken, "das ist doch die Kindervorstellung." Also alles zurück - und jetzt weniger grausam.

Beim zweiten Anlauf springt der Schneider schnell auf den Baum - und das Fabelwesen bleibt mit seinem Horn im Baum stecken. Jetzt ist es natürlich ein Leichtes, für den Schneider, das Tier dem König zu bringen, um endlich, endlich die Prinzessin zu heiraten. So hatte es der König versprochen: Wer die Aufgaben erfüllt, bekommt das halbe Königreich "und die halbe Prinzessin gemahlen dazu. - Äh, die ganze Prinzessin zur Gemahlin dazu!"

Das Märchen vom "Tapferen Schneiderlein" steht an diesem Sonntagnachmittag auf dem Spielplan des Jungen Theaters Ingolstadt - eine Produktion des Berliner Theaters Zitadelle. Schon im vergangenen Jahr war Puppenspieler Daniel Wagner zu Gast in Ingolstadt und bezauberte das Publikum mit seiner sehr speziellen Version der "Gestiefelten Katze". Diesmal hatte er weitere Märchen im Gepäck: Am Abend zuvor hatte er das Publikum mit einem Double Feature unterhalten: "Das tapfere Schneiderlein" und "Rotkäppchen". An diesem Nachmittag steht nur die Mär vom armen Schneider, der es mit Mut und List schafft, das Herz der Prinzessin und den Königsthron zu erobern, auf dem Programm. Und so wie Daniel Wagner das erzählt, in seiner hochkomischen und dabei verblüffend virtuosen One-Man-Show, kommt man aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Schon, weil er die Spielformen so herrlich mischt, zunächst selbst als Schneider Helge mit Berliner Schnauze auftritt, um dann die einzelnen Klappmaul- und Stabfiguren, Hand- und Holzpuppen, Marionetten und Schattenwesen behände zum Leben zu erwecken - vom winzigen Wurzelzwerg bis zum pupsenden Riesen, von der Mus verkaufenden Frau Schmidt bis zum zwitschernden Zeisig und all die hölzernen Palastbewohner sowieso. Dann schrumpft auch Schneider Helge aufs puppige Miniformat, um fortan mit der Prinzessin zu flirten und dem König Paroli zu bieten. Die Einhorn-Jagd wird als drehbares Schattentheater präsentiert und die Wildschwein-Hatz als Lied.

Und zwischen Erzählen und Puppenspiel fällt Daniel Wagner noch jede Menge köstlicher Unsinn ein. Da jammert Riese Hans - in Erwartung des großen Steins, der ihn laut Märchen treffen wird - in Richtung Puppenspieler: "Nich so doll, nich so doll", da versetzt Strom aus einer Wildschweinschnauze dem Spieler einen elektrischen Schlag, da sind auf der Zeitung sieben Plastikfliegen im Blutbad aufgeklebt, da werden Fingerhüte zu Trinkgefäßen und Königskronen.

Unter der Regie von Pierre Schäfer wechselt Daniel Wagner federleicht und gewitzt theatrale Formen, Puppen (Vater Ralf Wagner baut die Holzfiguren, Mechtild Nienaber die Stofffiguren) und Sprechweise, nutzt seinen Tisch als Spielmaterial, Bühne und zur Requisitenaufbewahrung, streut Gags ein, malt Herzen in die Luft, versucht sich an Heavy-Metal-Einlagen, fordert schon mal "bisschen Fantasie" ein und animiert das Publikum zum Mitmachen. Groß und klein sind eifrig dabei und spenden zum Happy End begeistert Applaus. Um König Rudolf zu zitierten: Es war für alle eine schöne Zeit. Mehr als das!

Anja Witzke