Rund 200 Stunden Training für 66 Sekunden Anschieben

29.02.2008 | Stand 03.12.2020, 6:06 Uhr

Hat noch große Ziele: Berit Wiacker will in zwei Jahren bei den Olympischen Spielen wieder dabei sein. - Foto: Ihm

Ingolstadt (DK) Ganze elf Mal durfte die Ingolstädterin Berit Wiacker in dieser Saison den Bob für ihre Pilotin Sandra Kiriasis bei einem Wettkampf in Schwung bringen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: jeweils ein WM-, EM- und DM-Titel kamen zu der Sammlung der 25-Jährigen hinzu.

Bei der durchschnittlichen Anschieb-Dauer von sechs Sekunden kommt die ehemalige Hürdensprinterin auf eine "Arbeitszeit" von 66 Sekunden. Und das bei einem jährlichen Trainingsaufwand von rund 200 Stunden! "Oh, so habe ich das noch gar nicht gesehen", muss die Ingolstädterin bei diesem Zahlen herzhaft lachen.

Überhaupt versprüht Wiacker stets gute Laune, so dass man sich gar nicht vorstellen kann, sie auch mal schlecht gelaunt zu erleben. "Na ja, bei der WM im Zweierbob war ich schon sehr traurig. Da war ich nach dem Rennen ziemlich am Boden. Es ist schon deprimierend, wenn man das ganze Jahr auf so ein Ereignis hinarbeitet und dann nur an der Bahn steht," gibt sie einen kleinen Einblick in ihr Seelenleben.

Schließlich durfte sie anschließend ja auch noch im Team-Wettbewerb ran, wo sie dann – wie schon im Vorjahr – doch noch zu Titelehren kam. Andere wären vielleicht sauer auf ihre Pilotin, die zu entscheiden hat, wer im jeweiligen Rennen zum Einsatz kommt. Doch bei Berit Wiacker weckt so etwas nur zusätzlichen Ehrgeiz: "Ich muss halt noch mehr trainieren und schauen, dass ich in der kommenden Saison zu noch mehr Einsätzen komme."

Kein böses Wort also über Sandra Kiriasis – im Gegenteil: Berit Wiacker spricht voller Hochachtung von ihrer "Chefin": "Sandra hat mich immer fair behandelt, ich kann ihr absolut nichts vorwerfen." Deshalb kommt ein Wechsel in einen anderen Bob für sie auch nicht in Frage. "Sie ist eine der ganz wenigen Pilotinnen, die ihre Anschieberinnen regelmäßig durchwechselt. Und außerdem hat man in ihrem Bob den Erfolg ja auch schon fast gepachtet."

"Viel zu gefährlich"

Dass sie selbst einmal als Pilotin durch die Eiskanäle rasen wird, so wie es Anja Schneiderheinze jetzt macht, die sich in der vergangenen Saison mit ihr als Anschieberin im Kiriasis-Bob abwechselte, hält Wiacker für ausgeschlossen. "Das ist eigentlich kein Thema für mich, das ist mir zu gefährlich. Außerdem musste ich meinen Eltern versprechen, dass ich das nie machen werde."

Deshalb gilt es für Wiacker jetzt also, sich so weit zu steigern, dass sie künftig auch bei den Großereignissen wie WM oder Olympia zum Einsatz kommt. Vor zwei Jahren musste sie bei den Olympischen Spielen in Turin Anja Schneiderheinze den Vortritt lassen, in zwei Jahren in Vancouver hofft sie, nicht wieder das Nachsehen zu haben. Deshalb will sie den minimalen Rückstand, den sie zu Logsch aufweist, noch aufholen. "Kräftemäßig ist sie mir als ehemalige Diskuswerferin natürlich voraus, aber in diesem Bereich habe ich noch großes Potenzial", will sie ihr Krafttraining weiter steigern.

Jetzt aber ist erst einmal Pause angesagt. "Den März nutze ich einfach zum Ausspannen, vielleicht geht es auch ein paar Tage zum Skifahren. Doch im April geht es schon wieder los, denn nehme ich mit meiner Trainingsgruppe in Bad Endorf das Training wieder auf. Aber", schmunzelt sie, "wahrscheinlich kann ich gar nicht so lange aussetzen und fange im März zumindest schon wieder mit dem Joggen an."

Nächste Stationen werden Potsdam und Winterberg sein, wo dann die ersten Fahrten – aufgrund der Witterung aber noch auf Rollen – stattfinden werden. Im Oktober wird das Training noch einmal verschärft, ehe im November wieder die ersten Weltcuprennen auf dem Programm stehen. Vorher aber gönnt sich Wiacker noch einen persönlichen Spaß, wenn sie mit ihrer alten Leichtathletik-Truppe der DJK Ingolstadt bei einem Siebenkampf in Garmisch starten will. "Das wird sicher eine Riesengaudi. Auch wenn ich gar nicht weiß, ob ich überhaupt noch über die Hürden komme. Das wird sicherlich lustig, wenn ich mich da drüber quäle", stapelt Wiacker tief, denn als ehemalige Deutsche Juniorenmeisterin über 100 Meter Hürden dürfte das für sie wohl kein Problem sein. "Na ja, eigentlich nicht. Aber ich muss natürlich aufpassen, dass ich mich dabei nicht verletze, weil da doch ganz andere Muskeln beansprucht werden als beim Bobfahren", zeigt sie Respekt vor der Herausforderung. Deshalb will sie auch versuchen, sich etwas zurückzuhalten. "Aber", macht sie sich keine großen Hoffnungen, "irgendwann wird mich dann wahrscheinlich doch der Ehrgeiz packen."

Erstmals verletzungsfrei

Dennoch, eine weitere Verletzung will sie sich auf keinen Fall einhandeln, zumal sie in den ersten drei Jahren im Bob-Rennsport immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte und regelmäßig dadurch zurückgeworfen wurde. In dieser Saison konnte sie erstmals schmerzfrei an den Start gehen, was sich auch prompt bemerkbar machte. "So nah wie diesmal war ich noch nie dran, den Sprung zu schaffen", zieht sie eine zufriedene Bilanz.

Die will sie auch in einem Jahr ziehen können, denn dann könnte sie optimistisch in die darauf anstehende Olympia-Saison gehen. Schließlich, daran lässt Wiacker keinen Zweifel, ist ein Start 2010 in Vancouver ihr großes Ziel. "Das stellt einen großen Antrieb für mich dar, wobei ich diesmal aber unbedingt im Schlitten sitzen will. Noch einmal neben der Bahn stehen zu müssen, wenn die Entscheidung fällt, wäre schon sehr hart. Da kommt man sich dann ziemlich nutzlos vor," erinnert sie sich ungern an Turin zurück auch wenn sie immer wieder betont, dass die Spiele in Italien schon ein riesiges Erlebnis waren.

Ob es noch eine dritte Chance auf Olympia geben wird, lässt Wiacker offen. "Keine Ahnung, ob ich 2014 noch fahren werde. Das ist momentan sehr fraglich", will sie so lange noch gar nicht voraus planen. Schließlich steht ja auch in den Sternen, ob Sandra Kiriasis dann überhaupt noch fährt, zumal sie bereits ankündigt hat, bald eine Babypause einlegen zu wollen. Davon ist ihre Anschieberin derzeit noch weit entfernt – schließlich führt sie noch ein Singledasein: "Bei dem vielen Training und den ganzen Reisen zu den Wettkämpfen hätte ich für einen Freund gar keine Zeit."