KOMMENTARE
Rückwärts

Von Johannes Greiner

07.04.2021 | Stand 23.04.2021, 3:33 Uhr

Man darf ausschließen, dass sich im türkischen Präsidentenpalast kein dritter Stuhl für Ursula von der Leyen auftreiben ließ.

Der Platz am Katzentischchen für die EU-Kommissionspräsidentin beim Treffen mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist ein bewusstes Signal, eine kleine formale Provokation. Autokratische Herrscher gefallen sich in solchen Machtspielchen. Unvergessen das Foto mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, der bei einem Treffen mit Angela Merkel seinen schwarzen Labrador direkt vor der Kanzlerin platzierte. Natürlich wusste der Ex-Geheimdienstmann um die Abneigung Merkels gegen große Hunde.

Derartige Sticheleien mögen peinlich sein und mehr über die Gedankenwelt politischer Alpha-Männchen verraten, als ihnen lieb sein kann. Im Fall Erdogans kommt aber noch etwas anderes hinzu: Die Türkei hat gerade erst das internationale Abkommen zum Schutz der Frauen vor Gewalt aufgekündigt. Erdogan selbst hatte das Istanbul-Abkommen vor zehn Jahren mit unterschrieben. Doch inzwischen sucht der politisch angeschlagene Präsident offensichtlich den Schulterschluss mit der islamisch-konservativen Wählerschaft. Da mag es aus seiner Sicht nicht opportun sein, sich auf Augenhöhe mit einer Politikerin zu zeigen. Das ist ein weiterer Beleg dafür, wohin es in der Türkei mit den Frauen- und damit auch den Bürgerrechten geht: rückwärts.