Weinsfeld
Rollentausch bleibt die Ausnahme

Beim Girls’ und Boys’ Day schnuppern die meisten Jugendlichen nur in atypischen Berufen

27.03.2014 | Stand 02.12.2020, 22:53 Uhr

Mädchen im Männerberuf, Jungs im Frauenberuf: Beim Girls' und Boys' Day probieren Sarah Gilch (oben mit ihrem Vater Norbert), Jim Windisch und Paul Eberler (unten von links) untypische Berufe aus. Sarah schnuppert in einer Lkw-Werkstatt, die Jungs bei Regens Wagner in Zell. - Fotos: Kofer

Weinsfeld/Zell (HK) Bayerns Sozialministerin Emilia Müller beklagt, dass sich Jugendliche bei der Berufswahl noch immer nach Geschlechterzugehörigkeit und nicht nach Neigung entscheiden. Der Girls’ und Boys’ soll alte Muster aufbrechen. Ein Praxistest in Hilpoltstein zeigt, wie schwer das ist.

Sarah Gilch steht mit grauer Arbeitshose und Fleecejacke neben einem nagelneuen Scania-Lastwagen in der großen Werkstatt der Firma Distler in Weinsfeld und schraubt einen Tank ab. Große Motoren liegen in Einzelteilen herum, ein Mechaniker flext an einem Stahlteil. Es ist so laut, dass man schreien muss, wenn man sich unterhalten will. Das Fahrzeug soll umgebaut werden. Ein Kranaufbau soll aufgeschweißt werden, dazu müssen alle Leitungen, Kabel und Tanks abmontiert werden, die beim Schweißen brennen würden. Der Lastwagen soll später Funkmasten versetzen.

„Anstrengend, man muss viel laufen“, sagt die 13-Jährige über ihre ersten Eindrücke von der Arbeit eines Lkw-Mechatroniker. „Die Arbeit hat mir gut gefallen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das mal mache“, sagt sie halblaut. In der Realschule hat die Siebtklässerin den Hauswirtschaftszweig gewählt. Büro sei nichts für sie, sagt sei, vielleicht möchte sie den Malerberuf erlernen.

„Jetzt weiß sie, wie ich mein Geld verdiene“, sagt ihr Vater Norbert Gilch und lacht. Er ist Meister im Betrieb und hat seine Tochter heute unter die Fittiche genommen. Norbert Gilch kann den Beruf nur empfehlen. „Man macht nie den ganzen Tag das Gleiche“, sagt er. Er ist einer von 18 Mechanikern in der Werkstatt. Nur ein Kollege ist eine Frau. Daran kann auch der Girls’ Day nichts ändern. Dieser wurde 2001 in Deutschland eingeführt, um den Fachkräftemangel der Industrie zu beheben. 1800 Mädchen meldeten sich damals für 39 Veranstaltungen an. Inzwischen schnuppern über 100 000 Mädchen in Männerberufen, es gibt fast 10 000 Angebote. Seit drei Jahren gibt es als Gegenstück auch den Boys’ Day, bei dem sich Jungs in sozialen Berufen umsehen können.

„Super“, sagt Melanie Rohm, sei es hier in der Werkstatt. „Ich komme mit allen gut klar.“ Melanie Rohm ist 21 und Gesellin. Ihre Ausbildung zur Lkw-Mechatronikerin hat sie hier mit Bravour absolviert. Sie hat sogar einen Staatspreis erhalten. „Es ist körperlich anstrengend, aber man gewöhnt sich daran“, sagt die schlanke junge Frau, die schon immer etwas Handwerkliches machen wollte. Schon als Mädchen ist sie mit großen Maschinen aufgewachsen. Bei ihrem Vater auf dem Biomassehof in Hofstetten ist sie mit dem Teleskoplader gefahren und hat beim Reifenwechsel geholfen. Jetzt hat sie ihren Traumjob gefunden. „Ich kann den Beruf auf jeden Fall empfehlen“, sagt sie und lächelt.

Juniorchef Martin Distler ist sehr zufrieden mit den beiden Frauen in seiner Werkstatt. Neben Melanie Rohm lernt mit Lisa Wolfsberger gerade Lageristin hier. „Die, die wir bis jetzt gehabt haben, sind alle geblieben“, sagt Distler. Es waren nur eben nicht sehr viele.

„Ich bin die Ausnahme“, sagt Stefan Schuller, bei Regens Wagner Zell zuständig für die Ausbildung der Heilerziehungspfleger. Er sei „klassisch“ zu diesem Beruf gekommen, als „Zivi“. Doch die Zivildienstleistendenden sind in den sozialen Berufen „weggebrochen“, wie Schuller meint. „Generell fehlen uns die Männer, vor allem in den Wohngruppen.“ Rund 20 Prozent beträgt ihr Anteil bei den Heilerziehungspflegern. „Jungs unter 18 haben kein bis sehr wenig Interesse an diesem Job.“

Jim Windisch ist da eine Ausnahme. Der 12-jährige Mittelschüler aus Hilpoltstein fühlt sich am Vormittag in der Ausbildungswerkstatt pudelwohl. Er reicht seinem körperbehinderten Nebenmann Kartons rüber. Der bedankt sich lächelnd, und Jim sagt freundlich „Bitte“. Jim klebt neue Preisschilder auf Heftordner, sein Nebenmann packt sie wieder in Kartons zurück.

„Mir gefällt die Arbeit einfach. Ich könnte mir vorstellen, das zu machen“, sagt Jim. Eine vorsichtige Eingewöhnung in die Welt der Gehörlosen, erklärt Stefan Schuller. Nach dem Mittagessen steht dann ein Crashkurs im Fingeralphabet an. „Einen Teil kann ich schon“, sagt Jim. „Meine Mama arbeitet hier in der Förderstelle.“ Dorthin, zu den gehörlosen Kindern, geht es am Nachmittag. „Den behalten wir gleich“, sagt Stefan Schuller über Jim.

Etwas skeptischer ist Paul Eberler, 14 Jahre alt, aus Röttenbach. Auch er sieht sich beim Boys’ Day bei Regens Wagner in Zell um. „Mein Cousin arbeitet hier“, sagt der Realschüler, der, wie er meint, mit kleinen Kindern gut umgehen kann. Er ist Jugendtrainer der Leichtathletikabteilung des TSV Röttenbach, Kugelstoßer und Speerwerfer. „Ich will einfach mal gucken, was gefällt mir alles.“ Außerdem komme es bei Bewerbungen immer gut an, wenn man einmal in einer sozialen Einrichtung war, sagt Paul Eberler. Egal, für welchen Beruf man sich bewirbt.