Ingolstadt
Risse im Alltag

Pauline Füg und Michael Kleinherne traten bei den Ingolstädter Literaturtagen auf

02.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:12 Uhr

Momentaufnahmen aus dem poetischen Universum: Michael Kleinherne und Pauline Füg lasen im Tagtraum - Foto: Buckl

Ingolstadt (DK) Es war ein Gastspiel der Kontraste: Bei der fünften Veranstaltung der 20. Ingolstädter Literaturtage traf ein männlicher Autor in der Lebensmitte auf eine junge weibliche Autorin, er las sitzend vor, sie rezitierte stehend auswendig, er schreibt Prosa, sie liefert Lyrik, ein eher stoisch-ruhiger Lesegestus trifft auf musikuntermalte Performance, eine lakonische Syntax kurzer Sätze auf hypotaktische Kaskaden von Assoziationen, Assonanzen und Wörterketten.

Dennoch harmonierten die Slam-Poetin Pauline Füg und der Feuilleton-Journalist und Germanistik-Dozent Michael Kleinherne bestens miteinander, als sie am Mittwochabend im Café „Tagtraum“ auftraten.

\tMichael Kleinherne, stellte sein Debüt „Drehpause“ vor – ein Dutzend Prosastücke, deren Länge von zwei bis zu 16 Seiten variiert. Seine Buch wie Lesung einleitende Erzählung „Ansichten“ handelt vom Aufstieg eines Paares auf einem Weg, den man unschwer in Eichstätt lokalisieren kann: „Durch enge Gassen. Kalkplattendächer überall. Weiß bepudert. Jetzt noch den Hang hinauf. Der Heiland als Gipfelkreuz. Auf halber Strecke“: Ein mürrischer Mann und eine jüngere Frau wandern auf einem Trampelpfad auf das Seidl-kreuz, wobei es zu Spannungen kommt, als die Frau dem Mann die Frage nach seinem Glauben stellt. Als dieser dem „offenbar frierenden“ Heiland am Kreuz seine Jacke überhängt, lässt sie ihn stehen.

\tAuch in den weiteren Texten Kleinhernes geht es um fragile Beziehungen, um Paare in Krisen, um jähe Einbrüche und Risse in den Alltag, die in einer lakonisch knappen Sprache erzählt werden, auch in Texten wie „Das Reh“ oder „Laika“, das Weltraum-Hündchen in der Sputnik-Kapsel.

\tPauline Füg kontrastiert solche Prosa mit einigen ihrer oft verrätselten „Slam“-Klassiker wie „Zwei Morgen wach“, wozu sie von Ludwig Berger komponierte Musik abspielt – ein Text, der durch die rhythmische Eindringlichkeit des alliterierenden Leitmotivs einen regelrechten Sog entfaltet („Wir wollten wach / wir wollten weg sein / und blieben doch an einem Ort“). Auch Pauline Füg hat ihr erstes Buch publiziert, dessen doppeldeutiger Titel „Die Abschaffung des Ponys“ nichts mit der Drastik einer Fleischtheke zu tun hat, sondern auf die Stutzung einer Frisur verweisen soll.

Fügs Texte muss man dechiffrieren („in den Jackentaschen ein paar vertrocknete Fragen von gestern noch ...“), ihrem Hintersinn nachspüren. In einer Lesung hat man das Glück, Verrätseltes erklärt zu bekommen – wie das Wissen darüber, dass Eckzähne meist dunkler sind als die anderen Zähne, was dem Leser klar sein muss, um ihren Text „Dunkeladaption“ zu verstehen. Bisweilen spielt Füg einfach mit Klang – wenn „Pfützen geflissentlich übergangen“ werden oder im „Logbuch“ nach dem „Wurmloch“ gesucht wird. Und immer wieder kommt es zu intertextuellen Bezügen, wobei die Slammerin unbefangen, Motive aus Märchen, Mythen und Kinderbüchern mischt und originellen Wortwitz entfaltet wie in einem Herbstgedicht: „Die Kinder lassen ihren Drachen steigen, nur Siegfried hat seinen mal wieder getötet!“. Ein beschwingter Literaturtageabend, dem man allerdings kein Fußballspiel als Konkurrenz gewünscht hätte.