München
Riemenschneider in neuem Glanz

Der sanierte Saal im Bayerischen Nationalmuseum mit Werken des Bildhauers ist ab heute wieder zu besichtigen

14.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:55 Uhr

Barocke Meisterwerke: Maria mit Kind (links), eine Passionsszene mit Kaiphas und Soldaten (oben), die heilige Magdalena mit Engeln (Mitte); und der heilige Sebastian. - Fotos: Krack/Bayerisches Nationalmuseum

München (DK) "Ruhm kann sich's leisten, geduldig zu sein", wusste ein chinesischer Gelehrter, aber manchmal braucht er auch ein Quentchen Zufall: Tilman Riemenschneiders Grabstein wurde fast 300 Jahre nach seinem Tod 1822 bei Straßenarbeiten entdeckt. Der Name zündete seinerzeit den Funken der Erinnerung - und zwar just, als Deutschland sich Empfindsamkeit und Romantik in neu erwachtem historischem Bewusstsein verschrieben hatte.

Jener Funke entfachte anhaltende Begeisterung, alle haben sein Werk geliebt und gesammelt - Romantiker, Nazis, die Exilanten. So hat Julius Bier, seinerzeit führender Experte, Hitlers Deutschland sozusagen mit dem Meister im ideellen Gepäck verlassen. Auch Thomas Mann strickte an der Legende Riemenschneiders, der sich Götz von Berlichingen anschloss, um für Freiheit und Recht einzutreten und gefangen, entrechtet und gefoltert wurde. Die Hände sollen seine Peiniger ihm gebrochen haben, weswegen man nun mit Andacht auf die feingeäderten Finger seiner Skulpturen schaut.

Im Bayerischen Nationalmuseum, wo derzeit nach zweijähriger Konzeption und langer Schließzeit dem Riemenschneider-Saal der letzte kuratorische Schliff verpasst wird, macht Kunsthistoriker Matthias Weniger dieser Assoziation knapp den Garaus: "Hände und Flügel sind das erste, was an einer solchen Figur abbricht, da ist manches nicht mehr original." Er steht auf einer Leiter vor einer komplett fellbewachsenen, und so in raffinierter Nacktheit abgebildeten Jüngerin Maria Magdalena. "Hierzulande war es lange üblich, die Verluste stillschweigend zu ergänzen". Magdalena wäre eigentlich in Münnerstadt zu Hause, einer jener fränkischen Enklaven, die heute noch Riemenschneider-Schätze in ihren Kirchen präsentieren. Bei einer Renovierung verkaufte man jedoch einige Stücke. Die Odyssee, welche die fesch ondulierte Heilige und sechs sie gen Himmel entrückenden Engel hinter sich brachten, bis sie 1913 wiedervereint wurden, erinnert an ein kompliziertes Puzzle. Sammlungsleiter Weniger, seit zwölf Jahren am Museum und jetzt die ca. 300 000 Euro teure Neukonzeption des Raumes verantwortend, hat sich viele Gedanken um ihre Anordnung gemacht. War die Gruppe bisher auf spinatgrünem Hintergrund montiert, faltet die Heilige jetzt in lichter Höhe ihre Hände, von den Englein fast berührt. Weniger hat bemerkt, dass einige größer und feiner ausgeführt sind. Sie hat er nun nach unten hängen lassen, dem Betrachter nah. Die Riemenschneider-Werkstatt, denn dass der Meister neben vielfältigen Ämtern auch noch alle erhaltenen Arbeiten alleine ausgeführt haben könnte, hält die Fachwelt für unmöglich, verband in modernster Weise Unverwechselbarkeit, Qualität und Effizienz: Von hinten sind die Figuren oft nur ein Brett, alle sichtbaren Teile aber strotzen vor Leben und Bewegung, man fühlt sich von geschnitzten Pupillen fixiert. Kaum vorstellbar, welche Wirkung diese heiligen Übermenschen auf Betrachter ausübten, die weder Fotografie noch Kino kannten. Die Münnerstädter Gruppe war dabei in Holzoptik konzipiert. Eine Innovation, verlangte doch jene Zeit farbig gefasste und dramatisch zugespitzte Szenen, wie die Würzburger Passionsszene Riemenschneiders schräg gegenüber demonstriert. Hier wird die Skulptur zum Theaterspiel - und somit ist nur folgerichtig, dass Lichtmeister Raffael Pollak sie heute in den Münchner Schaukästen mittels raffiniert gesteuerter LED-Lämpchen ausleuchtet wie auf einer Bühne. Er experimentiert in der Neukonzeption der Ausstellung mit Spots und Zoom-Effekten, wobei er die Augen des Betrachters führt wie ein Regisseur. In Kirchen wie im Museum war Licht früher ein Gottesgeschenk: Es war da oder eben nicht, je nach Wetter und Tageszeit. So verwundert es Weniger auch nicht, dass Magdalena von rechts angestrahlt am besten wirkt - das entspricht dem Sonnenverlauf bei einem auf Osten ausgerichteten Altar. Heute spielt der Mensch selbst ein bisschen Gott - mit Lichtspots und Museums-Effekten, die den Ruhm Riemenschneiders bewahren. Mindestens für fünfzig Jahre, so schätzt der Kurator, wird seine Interpretation nun zu sehen sein.