München
Psychotheater im gläsernen Käfig

Christian Stückl gelingt eine vitale Inszenierung von Henrik Ibsens "Baumeister Solness" in München

03.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:22 Uhr |

Intelligente Regie, fulminante Schauspielerleistung: Szene mit Mehmet Sözer und Pola Jane O'Mara in Ibsens "Baumeister Solness" in der Regie von Christian Stückl. - Foto: Declair

München (DK) Welch unsäglicher Kotzbrocken ist doch dieser Halvard Solness in der Interpretation des Regisseurs Christian Stückl und der kongenialen Darstellung durch Maximilian Brückner. Ein gefeierter, mit zahlreichen Auszeichnungen geradezu überhäufter Stararchitekt ist er gewesen. Doch die Erfolge sind ihm zu Kopf gestiegen, weshalb er nun - von Selbstzweifeln über den Sinn seines bisherigen Lebens und von Zukunftsangst gepeinigt - in einer gewaltigen Lebens- und Schaffenskrise sich befindet. Zum fiesen Arbeitgeber hat er sich entwickelt, der seine Angestellten und die von ihm Abhängigen nicht nur materiell ausbeutet, sondern sie auch psychisch zugrunde richtet.

Eine ideale Stückvorlage also für den Intendanten des Münchner Volkstheaters, dieses Spätwerk des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen (1828-1906) über die gescheiterte Existenz dieses Baumeisters Solness mit geradezu überbordender Regievitalität in Szene zu setzen. Furios lässt Stückl diesen Egomanen wie eine wild gewordene Dogge von der Leine. In einem labyrinthartigen, klaustrophobischen - natürlich ganz symbolischen - Großraumbüro als gläsernem Käfig (von Stefan Hageneier) mit Schiebetüren für all die Fluchten aus der Realität lässt er diesen privat wie beruflich gescheiterten Solness als Psychowrack über die Bühne toben, brüllen und rasen. Als einen exzentrischen Tyrannen und Choleriker führt Brückner diesen Chaoten vor, dass die Glaswände nur so wackeln und die Menschen seiner Umgebung schier verzweifeln.

Nicht durch eigene Leistung kam Solness zu seinem kometenhaften Aufstieg, sondern durch Intrigen gegenüber der Konkurrenz und durch den Besitz eines Grundstückes in bester Wohnlage, das seine Frau in die Ehe mitgebracht hat und das er, nachdem es (auf seine Veranlassung hin) abgebrannt war, parzellierte und nun lukrativ vermarktet. Und die traurige Tatsache, dass seine beiden Kinder durch den Brand ums Leben kamen, versuchte er durch gesteigerte berufliche Aktivitäten und vor allem durch die Verdrängung der Realität vergessen zu machen.

Doch nicht - wie bei anderen Inszenierungen meist üblich - als melodramatisches bürgerliches Salonstück aus dem 19. Jahrhundert führt Stückl dieses 1892 uraufgeführte Schauspiel in dieser an Dramatik schier überbordenden Neuinszenierung vor, sondern er transportierte die Problematik eines vom Erfolg zerfressenen sozialen Aufsteigers, der über Leichen geht, in unsere heutige Zeit. Vor allem die Frauen, die Solness verehrt, ausbeutet und auch sexuell missbraucht, sind Figuren der Jetztzeit.

Allen voran Luise Kinner als Solness' unterwürfige, masochistisch ihn liebende Sekretärin und Buchhalterin, die aus Angst um den Verlust ihres Jobs all die Eskapaden ihres Chefs widerwillig schluckt, selbst als sie von ihm vergewaltigt wird. Pola Jane O'Mara gibt als Solness' Jugendliebe Hilde Wangel eine ebenso schnoddrige wie resolute Punklady ab, die all die Lebenslügen ihres ehemaligen Lovers aufdeckt.

Vor allem jedoch zeigt Magdalena Wiedenhofer in einer brillanten psychologischen Studie die Seelenverwerfungen von Solness' Ehefrau Aline auf, die sich in den letzten Jahren, spätestens jedoch seit dem Tod ihrer Kinder, von ihrem Gatten völlig entfremdet hat. Verstört geistert sie zwischen den Glaswänden hin und her. All die beruflichen Machenschaften und sexuellen Eskapaden des einst so geliebten Baumeisters hat sie bis jetzt stumm leidend geduldet. Doch jetzt liest sie, die in jeglicher Hinsicht Betrogene, ihm abwechselnd mit eisiger Coolness und absolut nachvollziehbarem hysterischem Furor die Leviten. Ein hinreißendes schauspielerisches Glanzstück.

Dazu in feinen Charakterstudien Mehmet Sözer als vorwärtsstrebender, aber aus Konkurrenzangst von Solness gedemütigter Jungarchitekt und Timocin Ziegler als Doktor Herdal, der seinen Patienten Solness ins Gewissen redet. Doch auch dies vergeblich.

Eine vom Premierenpublikum umjubelte Neuinszenierung, bei der - wie so häufig im Münchner Volkstheater - intelligente Regie und fulminante Schauspielerleistungen zu einer betroffen machenden Einheit verschmelzen.

Die nächsten Aufführungen sind am 5., 6., 12., 21. und 22. April. Kartentelefon: (0 89) 5 23 46 55.

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