Projektionsfläche Schulz

Kommentar

29.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:44 Uhr

Dieser Mann strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Martin Schulz will es wissen: Seine Nominierung und die erste große Rede als Kanzlerkandidat bedeuten für die SPD psychologisch nicht mehr und nicht weniger als den lang ersehnten Befreiungsschlag.

Die Genossen versuchen, die bleierne Schwere und die Lethargie der Ära Gabriel hinter sich zu lassen, auch die Selbstzweifel und ihre schon fast chronische Angst vor dem Untergang.

Mag sich die SPD nun auch berauschen an Martin Schulz, ihn feiern wie einen Heilsbringer: Bisher ist der Kandidat nicht mehr als eine Projektionsfläche. Er steht für die Hoffnung der Sozialdemokraten, dass es mit den Wahlchancen im Bund wieder besser werden könnte. Die hohen Erwartungen zu erfüllen wird sehr viel schwerer. Bei seinem umjubelten Premieren-Auftritt im Willy-Brandt-Haus hat Schulz Seelenmassage betrieben, aber offengelassen, wie er die Trendumkehr schaffen will. Die Rede war jedenfalls frei von inhaltlichen Überraschungen. Dass die SPD im Bundestagswahlkampf auf soziale Gerechtigkeit setzen und sich um die Sorgen der arbeitenden Mitte kümmern will, wird nur dann Wirkung entfalten, wenn damit auch neue überzeugende Projekte verbunden sind.

Schulz' Plädoyer für einen energischen Kampf gegen Rechts, das Festhalten an der europäischen Idee und seine Kritik an US-Präsident Donald Trump allein dürften die Wählerinnen und Wähler kaum in Scharen dazu bringen, diesmal SPD zu wählen. Innenpolitisch bleibt der Kandidat auch nach seinen ersten großen Auftritten ein unbeschriebenes Blatt. Das ist für ihn Chance und Risiko zugleich.

Der ehemalige EU-Parlamentspräsident macht mit seiner Kandidatur diesen Bundestagswahlkampf in jedem Falle ein Stück spannender. Aber er steht jetzt vor mühsamer Arbeit. Er muss Vertrauen in sozialdemokratische Lösungskompetenz zurückgewinnen und kann dabei nicht den Eindruck erwecken, die SPD hätte seit 2013 nicht auf der Regierungsbank gesessen.