Ingolstadt
Plädoyers ohne Überraschungen

Mordfall Anastasia: Staatsanwalt fordert Lebenslänglich, Verteidigung einen Freispruch

02.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:42 Uhr

Am Donau-Ufer nahe dem Nordostviertel wurde Anastasias Leiche am 29. November 2015 entdeckt. Nahebei geschah wahrscheinlich der Mord. Die Aufarbeitung des Falles hat den größten Indizienprozess der Ingolstädter Justizgeschichte hervorgebracht. ‹ŒArch - foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Niedrige Beweggründe und Heimtücke - diese klassischen Mordmerkmale sieht die Staatsanwaltschaft im Fall Anastasia beim Angeklagten erfüllt. Sie hat gestern eine lebenslange Haftstrafe für den 25-jährigen Ex-Soldaten gefordert. Die Verteidigung plädierte auf Freispruch.

Die Verfahrensbeteiligten tagten bei den Schlussvorträgen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, doch wirklich Überraschendes gab es dabei offenbar nicht mehr zu hören. Dass sich Nebenklagevertreter Hans-Jürgen Hellberg (Vilshofen) dem Antrag von Staatsanwalt Jürgen Staudt anschließen würde, war ebenso erwartet worden wie die Verteidigungsstrategie. Jörg Gragert und Franz Wittl (München), die beiden Anwälte des Angeklagten, der den Mordvorwurf bekanntlich bestreitet, sehen keinen einzigen klaren Beweis für die Täterschaft ihres Mandanten und hatten das auch schon im Vorfeld des gestrigen Verhandlungstages mehrfach geäußert.

Der Ausschluss der Öffentlichkeit war - wie schon ausführlich berichtet - durch eine Bestimmung des Gerichtsverfassungsgesetzes wegen einer kurzen nichtöffentlichen Zeugenvernehmung am 17. Prozesstag zustande gekommen. Das Landgericht gab im Anschluss an die Plädoyers eine kurze Pressemitteilung zu den Schlussanträgen heraus. Präsidentin Sibylle Dworazik, die gestern auch als Sprecherin des Gerichts fungierte, referierte auf Anfrage gegenüber dem DK aber auch ausführlicher über den Verhandlungsverlauf.

Demnach hat der Angeklagte auch diesen vorletzten Prozesstag ebenso ruhig und gefasst verfolgt wie die 21 zuvor. In seinem Schlusswort soll er sich seinen Anwälten angeschlossen und die Hoffnung geäußert haben, dass das Gericht sich die Sichtweise der Verteidigung zu eigen machen möge. "Andere Leute sehen es auch so", zitierte die Gerichtssprecherin den gelernten Koch, der sich ansonsten im gesamten Verfahren nie mündlich eingelassen und lediglich eine Unschuldserklärung abgegeben hatte.

Recht emotional soll hingegen der Schilderung zufolge die letzte Äußerung der Nebenklägerin ausgefallen sein. Anastasias Mutter, die den Prozess phasenweise verfolgt hatte und gestern erneut aus ihrem niederbayerischen Heimatort angereist war, soll sich direkt an den Angeklagten gewandt haben: "Immer, wenn du die Augen schließt, soll dich die Seele meiner Tochter begleiten - so lange, bis du stirbst."

Rein sachlich fielen naturgemäß die Plädoyers aus. Staatsanwalt Staudt hat demnach die letzten Wochen im Leben der ermordeten Anastasia anhand der in der Beweisaufnahme gefundenen Anhaltspunkte (Zeugenaussagen und Chatverläufe) nochmals nachgezeichnet und ihre krassen Lebensumstände (hochschwanger in einer Notunterkunft) herausgestellt. Weil sie sich einen Ausweg über ein Zusammenleben mit dem vermeintlichen Vater ihres Kindes in einer neuen Wohnung erhofft habe, sei der Freund, der seinerzeit ein gesichertes Einkommen hatte, von ihr unter Druck gesetzt worden.

Diesem Druck habe sich der junge Mann in der Tatnacht (der frühe Morgen des 29. November 2015) am Donau-Ufer nahe der Gerhart-Hauptmann-Straße mit einem überraschenden und daher heimtückischen Angriff auf die Freundin entzogen. Auch wenn die junge Frau letztlich in der Donau ertrank, seien schon die vorherigen Schläge (mit einem unbekannten Gegenstand) auf ihren Kopf tödlich gewesen. Weil er die Freundin (und mit ihr das Kind) beseitigt habe, um sein unbeschwertes Junggesellenleben weiterführen zu können, so laut Gerichtssprecherin die Argumentation des Anklägers, sei die Tat aus niedrigen Beweggründen erfolgt.

Als besonders belastende Indizien sieht der Staatsanwalt die zwar nur kleinen, aber eindeutig von Anastasia stammenden Blutanhaftungen an einem Kapuzenpullover des Angeklagten an, der noch am Tattag in der elterlichen Wohnung des jungen Mannes aus einem Wäschekorb sichergestellt werden konnte. Das anhand der Handy- und Funkzellendaten ermittelte Zeitfenster für die Tat - knapp zehn Minuten - reichte dem mutmaßlichen Täter laut Staatsanwalt aus, um vom Donau-Ufer wieder zurück zu seinem Auto zu gelangen und sich dann davonzumachen.

Die Verteidiger sehen das erwartungsgemäß völlig anders. Laut Gerichtssprecherin haben sie in ihren abwechselnden Schlussbemerkungen die fehlende Beweiskraft aller vom Ankläger angeführten Indizien hervorgehoben. Es handele sich durchweg nur um Hinweise, aber eben nicht um Beweise, soll Rechtsbeistand Jörg Gragert herausgestellt haben. Er und sein Kollege Wittl halten demnach das bewusste Zeitfenster für zu klein, um ihrem Mandanten Spielraum für Tatbegehung, Flucht und - aus Verteidigersicht ganz entscheidend - auch eine Spurenbeseitigung zu lassen.

Die Anwälte haben laut Schilderung betont, dass sich seinerzeit sowohl an der Kleidung als auch im Auto des Beschuldigten keinerlei Faserspuren vom Opfer fanden. Die erwähnten Blutspuren seien undatierbar und könnten auch früher an besagten Pullover gelangt sein. Da er ohnehin einen Vaterschaftstest machen lassen wollte, habe der Angeklagte auch keinen übermäßigen Druck durch Anastasia gehabt.

Das Schwurgericht will sein Urteil am nächsten Donnerstag, 9. Februar, verkünden.