Geisenfeld
Plädoyer für mehr Menschlichkeit

Katja Ebstein zeigt als Grande Dame des Chansons ihre kämpferische Seite

15.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:55 Uhr

Geisenfeld (GZ) Bei ihrem Gastspiel im Geisenfelder Pfarrheim hat Katja Ebstein am Samstag das Publikum in ihren Bann gezogen - mit Liedern und Gedichten von Heinrich Heine über Georg Kreisler bis Konstantin Wecker. Und mit einer außergewöhnlich intensiven Interpretation.

Ein schwarzer Konzertflügel fällt beim Betreten des Pfarrsaals als erstes ins Auge. Seine starke Präsenz wird das Instrument im Laufe des Abends nicht nur rein optisch behaupten. Zu danken ist das Stephan Kling, der noch vor der Grande Dame des Chansons die Bühne betritt und mit perlender Virtuosität den Eindruck vermittelt, man befinde sich in einem klassischen Klavierkonzert.

Doch dann kommt sie. Vom Applaus der rund 150 Besucher flankiert, tritt Katja Ebstein ans Mikrofon. Unverkennbar die Frisur, unverwechselbar die Stimme, überraschend der Elan. Daran haben die Jahre nichts geändert, seit sie mit eigenen Songs die Hitparaden erstürmte. Doch ist sie nicht als Schlagersängerin gekommen. Ihr Programm "Na und ... wir leben noch!" hat eine gesellschaftskritische Botschaft, die unter die Haut geht. Mal mit triefender Ironie, mal mit fast revolutionärem Duktus leiht sie etwa Hanns Dieter Hüsch ("Ich sing für die Verrückten") oder Robert Long ("Feste Jungs") ihre Stimme. Und sie wünscht sich mit Hannes Wader ein "heißeres und mutigeres Herz".

Zunächst scheint das Publikum perplex. Da wagt es eine, im Pfarrheim Stephan Sulkes "Du lieber Gott, komm doch mal runter und schau Dir die Bescherung selber an" zu singen? Doch bald schon verfängt das musikalisch-poetische Plädoyer gegen Unmenschlichkeit, Fremdenhass, Heuchelei, Ignoranz und Kriege. Vielleicht, weil die Frau auf der Bühne so authentisch wirkt, wenn sie "mittätige Lösungen" fordert und herrlich berlinernd konstatiert: "Meckern alleene reicht nich". Das sei ganz schön "anspruchsvoll", "schwere Kost, aber leider sooo wahr" hört man in der Pause sagen.

Zum Glück gibt es da im zweiten Teil noch die Liebe, deren unterschiedliche Spielarten Zufluchtsort und Heilmittel gegen den Frust der Realität sein können. Ein Thema, bei dem Ebstein ihre künstlerischen Facetten voll ausspielt. Da ist die Schauspielerin und Rezitatorin - mal augenzwinkernd als Berliner "Jöre", mal voll schmerzlicher Wehmut oder von lyrischer Leichtigkeit beseelt. Die Erzählerin, die den "Subjektivling" in Heinrich Heine oder den humorigen Romantiker in Berthold Brecht zu entdecken hilft. Und die Chansonneuse, die a capella mit Bettina Wegners "Sind so kleine Hände" direkt ins Mark trifft.

Unter den vielen Zugaben ist auch eine vielschichtige Interpretation des zur Friedenshymne avancierten Protestsongs "Sag mir wo die Blumen sind", die Kling mit eindringlichen Bildern musikalisch untermalt. Schlager gab es keine zu hören. Das wäre nach einem solchen Abend einem Frevel gleich gekommen.

Maggie Zurek