Pfaffenhofen
Pfeifen, bevor der Zuschauer schreien kann

Ein Eishockey-Schiedsrichter muss in Sekundenbruchteilen entscheiden – und eine dicke Haut haben

21.03.2012 | Stand 03.12.2020, 1:41 Uhr

 

Pfaffenhofen (PK) Sie stehen zwischen den Fronten und oft im Kreuzfeuer. Doch ohne Schiedsrichter geht es nicht. in der PK-Serie „Geschichten mit Pfiff“ sprechen Schiedsrichter aus verschiedenen Sportarten über ihre Erfahrungen, Ängste und Motivationen.

„Was die Deppen da auf dem Eis zusammenpfeifen, das kriege ich auch noch hin!“ Das hat sich jeder Eishockey-Fan schon mal gedacht. Vor 28 Jahren dachte sich das auch ein 17-Jähriger namens Thomas Pfeil. Doch er war konsequent: Er wurde Schiedsrichter. Heute pfeift er in der Bayernliga.

Schon beim allerersten Spiel dämmerte es dem frischgebackenen Schiedsrichter, was es bedeutet, die Umstellung von der bequemen Zuschauerposition in die Rolle des Unparteiischen zu vollziehen. „Da war eine Situation, und ich habe mir gedacht: ,Das ist doch abseits! Warum pfeift der nicht' Und dann fiel mir ein: ,Du bist ja derjenige, der pfeifen muss!'“

Todesangst in der Kabine

Doch im Vergleich zu einigem, was die Eishockey-Schiedsrichter, die aufgrund ihrer schwarz-weiß gestreiften Hemden als „Zebras“ bezeichnet werden, in Laufe ihrer Karriere erleben, war dieser Zwischenfall harmlos. „Einmal hatte ich wirklich Angst um mein Leben“, erzählt Pfeil von den Geschehnissen nach einem von ihm geleiteten Spiel in Bayreuth, das den Abstieg des gastgebenden Vereins besiegelte. „Aufgebrachte Fans haben meine Kabine belagert. Ich habe versucht, die Polizei anzurufen, hatte aber keinen Handyempfang. Dann ging die Tür auf und dort stand ein riesiger Typ, der mich mit Wut in den Augen angeschaut und beschimpft hat. Ich habe nur gedacht: ,Wenn der zuschlägt, bist du tot!'“

Schließlich wurde Pfeil von Ordnern aus dem Stadion geleitet, wo der nächste Schock wartete: „Mein Auto war total zerkratzt, die Scheibenwischer abgebrochen“, berichtet der Schiedsrichter. Ein Jahr später pfiff er wieder ein Spiel in Bayreuth und bekam einen Außenspiegel seines Wagens abgetreten. „Seitdem parke ich in Bayreuth immer im Parkhaus und nicht mehr am Stadion“, so Pfeil.

Wer Konflikte scheut, ist für den Job als Unparteiischer sowieso ungeeignet. Thomas Pfeil hat nicht nur wegen seiner langjährigen Erfahrung im Eishockey gelernt, mit Streitsituationen umzugehen: Im Berufsleben fungiert der als Service-Manager in der Mobilfunkbranche tätige 45-Jährige als Betriebsrat.

„Man lernt, sich durchzusetzen, Entscheidungen zu treffen und auch dazu zu stehen“, erklärt der gebürtige Schwabe, der wegen der Liebe nach Pfaffenhofen zog. Die Tätigkeit als Schiedsrichter mit durchschnittlich zwei bis fünf Einsätzen pro Wochenende während der Saison verlangt auch der Familie einiges ab, wie der zweifache Vater zu berichten weiß: „Meine Kinder sind mit vier und sechs Jahren zwar noch nicht alt genug, um zu verstehen, was ich mache, aber sie merken natürlich schon, dass ich immer am Wochenende weg bin. Mit meiner Frau hatte ich auch schon einige Male Stress, vor allem, wenn ich wegen kurzfristiger Ansetzungen private Termine absagen musste.“

Die Schiedsrichterlaufbahn startet mit einem dreitägigen Lehrgang des Bayerischen Eissport-Verbandes (BEV), in dem das nötige theoretische Wissen vermittelt wird. Danach begleiten die Nachwuchs-Unparteiischen einen erfahreneren Kollegen aufs Eis und leiten mit ihm zusammen Spiele. Das ist allerdings kein Praktikantendasein, bei dem man dem alten Hasen lediglich auf die Finger schaut. „Da ist man schon als gleichberechtigter Schiedsrichter dabei und wenn der ältere Kollege etwas falsch macht, dann muss man ihm das auch sagen“, erklärt Pfeil.

Nach sieben Jahren stieg der Pfaffenhofener in den Bereich des Deutschen Eishockey-Bundes auf. „Da dauern die Lehrgänge vier oder fünf Tage anstatt drei und sind entsprechend professioneller und anspruchsvoller. Da wird zum Beispiel viel mit Videoschulungen gearbeitet, in denen man etwa gesagt bekommen, wie bestimmte Fouls zu ahnden sind.“

Acht Jahre war Pfeil in der Oberliga als Linienrichter tätig, anschließend sieben Jahre als Schiedsrichter. Aufgrund der Mehrfachbelastung von Eishockey, Beruf und Familie entschloss er sich vor fünf Jahren, sich wieder der etwas weniger anstrengenden Welt des BEV zuzuwenden. „Jetzt pfeife ich Bayernliga und alles was darunter ist, sowie Nachwuchsspiele“, erklärt Pfeil. Wie lange er dies noch macht, ist offen. „Ich will auf jeden Fall die 30 Jahre voll machen, danach schaue ich von Jahr zu Jahr“, kündigt der Pfaffenhofener an. Zwar gibt es eine Altersobergrenze von 50 Jahren, doch aufgrund des Schiedsrichtermangels macht der Verband Ausnahmen, sofern die Unparteiischen immer noch die körperlichen Voraussetzungen erfüllen.

Hart ist nicht gleich unfair

Ein gesundes Maß an Aggressivität gehört zum Eishockey dazu. Doch wo ist die Grenze zwischen der akzeptablen Härte eines Kontaktsports und der Unsportlichkeit? „Ein taktisches Foul, wenn einer aufs Tor zuläuft oder ein zu harter Check an die Bande, der auch mal weh tun kann – so was ist nicht schlimm. Da muss man nicht mehr als zwei Minuten geben beziehungsweise Penalty, wenn eine Torchance verhindert wird“, erklärt der Schiedsrichter. Die umstrittenen Prügel-Einlagen findet Pfeil in der Regel ebenfalls unproblematisch: „Wenn die Spieler meinen, ein wenig boxen zu müssen – was soll's? Ist doch geil, das wollen die Zuschauer ja sehen! Ich habe noch nie erlebt, dass bei so einer Schlägerei wirklich etwas Böses passiert ist.“

Doch bei allem Verständnis für die Freunde der härteren Gangart: im Eishockey gibt es bestimmte Grenzen, die eingehalten werden müssen – vor allem, wenn es um die Sicherheit der Spieler geht: „Fouls gegen den Kopf oder von hinten, wo der angegriffene Spieler keine Chance hat, sich zu schützen – das geht gar nicht. Das ist richtig gefährlich und da muss ein Schiedsrichter auch mit entsprechenden Strafen durchgreifen“, betont der Pfaffenhofener Unparteiische. „Wenn die Spieler merken, dass du diese bösen Fouls konsequent bestrafst, dann kommen die in der Regel auch nicht vor“, so Pfeil.

Auch in Bezug auf die Aggressivität besteht nach Überzeugung von Thomas Pfeil die Kunst darin, nicht zu viel und nicht zu wenig zu pfeifen. „Wenn man alles durchgehen lässt, merken die Spieler, dass sie sich alles erlauben können und dann ist es unheimlich schwer, wieder die Kontrolle zu erlangen“, mahnt der 45-Jährige.

Aufgebrachte und pöbelnde Zuschauer sieht er übrigens als geringstes Problem. „Von der Seite kriegt man auch am wenigsten mit – die einzelnen Rufe vermischen sich zu einem allgemeinen Hintergrundlärm“, schildert Pfeil die Geräuschkulisse aus Sicht des Schiedsrichters. Allerdings hat Thomas Pfeil festgestellt, dass bei den Zuschauern je nach Wochentag unterschiedliche Stimmungen vorherrschen: „Freitags sind sie definitiv aggressiver als sonntags. Am Freitag kommen die Leute von der Arbeit und hatten gerade Stress oder Streit mit dem Chef. Am Sonntag kommen sie von zu Hause, sind entspannt und haben ihren Sonntagsbraten im Bauch. Dann halten sie sich eher zurück“, beschreibt der Unparteiische seine Beobachtungen.

Viel schlimmer als jeder Zwischenruf eines Zuschauers sei es für den Schiedsrichter, wenn sich Spieler oder Trainer im Ton vergreifen. „Einmal hat ein Trainer während einer Spielunterbrechung zu mir gesagt: ,Wenn du so weiterpfeifst, schieß ich dich ab’“, erinnert sich Pfeil.

Fehler sofort abhaken

Doch mit der Zeit stumpfe man ab. Man müsse lernen, sich davon nicht verrückt machen zu lassen. „Auch wenn man merkt, dass man eine Fehlentscheidung getroffen hat – sofort abhaken und nicht mehr dran denken. Sonst verliert man die Konzentration und macht noch mehr Fehler“, betont der Schiedsrichter.

Pfeil hält nichts davon, gleich nach dem Spiel das Gespräch mit Spielern oder Trainern zu suchen, wenn es während der Partie Ärger gegeben hat. „Direkt nach dem Spiel sind alle noch emotional geladen, da bringt es nichts. Ich bin ja auch immer noch unter Hochspannung, wenn ich nach einem Spiel heimfahre. Erst nachdem ich schon ein bis zwei Stunden zu Hause bin, habe ich mich genug entspannt, dass ich schlafen kann.“

Besser sei es, zu warten, bis man sich ein paar Wochen später nochmal sieht. „Wenn ich mit jedem in der Eishockey-Szene, mit dem ich mal Streit hatte, nicht mehr reden würde, wäre ich sehr einsam“, sagt Pfeil schmunzelnd.

Angesichts der Widrigkeiten und Anfeindungen muss es auch positive Erlebnisse geben, die zum Weitermachen motivieren. „Ich weiß in der Regel selbst, wenn ich gut gepfiffen habe. Aber wenn mir nach dem Spiel sogar die Verlierer Respekt zollen für eine gute Leistung, dann ist das viel wert.“

Thomas Pfeil hat sogar schon einmal erlebt, dass ein aufgebrachter Funktionär seine Kritik zurückzog und einsah, dass die kritische Entscheidung gegen sein Team doch richtig war: „Es war ein entscheidendes Spiel um den Klassenerhalt in der Oberliga zwischen Essen und Ravensburg. Die Entscheidung fiel durch einen umstrittenen Penalty für Essen. Nachher kam der Präsident der Ravensburger zu mir in die Kabine und hat mich beschimpft, ich hätte seine Mannschaft betrogen und dass er einen Bericht an den Verband schicken würde“, schildert Pfeil den Vorfall.

„Ich habe ihm gesagt, er soll sich die Video-Aufzeichnung genau anschauen. Wenn sich herausstellte, dass ich falsch lag, dann solle er seinen Bericht schreiben und ich würde zugeben, dass ich schuld war“, so die Reaktion des Schiedsrichters. Der Funktionär verschwand, um sich die Aufzeichnung anzuschauen. Dann kam er wieder in die Schiedsrichterkabine und sagte nur: „Herr Pfeil, ich habe das Video gesehen. Wir schreiben keinen Bericht.“

Keine Zeitlupe im Kopf

In Sekundenbruchteilen die richtige Entscheidung fällen – ohne Zeitlupe im Kopf. Das macht für den Schiedsrichter Pfeil einen Teil des Reizes aus, ist aber auch ein Grund, warum man als Unparteiischer dermaßen unter Strom steht. „Du musst schneller pfeifen, als der Zuschauer schreien kann“, so Pfeil – wer mit der Entscheidung zögert, signalisiert Unsicherheit und damit auch Schwäche.

Idealerweise sollten die Linienrichter in dieser Hinsicht eine Hilfe sein. Doch anders als im Fußball gibt es keine festen, eingespielten Gespanne. Es kommt sogar vor, dass Kompetenzstreitigkeiten und Meinungsverschiedenheit offen während des Spiels ausgetragen. „Das merken die Spieler sofort und versuchen, diese Uneinigkeit auszunutzen“, mahnt Thomas Pfeil. „Das Problem ist nicht, dass es zu wenige Schiris gibt, sondern zu viele. Man hat 32 Hauptschiedsrichter in der Bayernliga, aber nur 300 Spiele pro Saison zu vergeben, also im Schnitt rund zehn Bayernliga-Spiele pro Saison für jeden. Aber eigentlich bräuchte man schon ein Spiel pro Woche, um in den Takt zu kommen. Dann kennen die Spieler den Schiedsrichter auch und wissen, wie er tickt. Dann können sich alle besser aufeinander einstellen“, erklärt Pfeil.

Dabei gibt es unterhalb der Bayernliga wie in fast allen anderen Sportarten auch im Eishockey einen Schiedsrichtermangel. Auch wenn es in der vergangenen drei bis vier Jahren einiges an Zuwachs gegeben habe, so seien es immer noch wenige, die zur Pfeife greifen. „So viele Spiele am Wochenende schrecken einige ab. Andererseits müsste nicht jeder so viel pfeifen, wenn wir mehr Schiris hatten. Neben Thomas Pfeil gibt es beim ECP mit Jürgen Weiner nur einen einzigen anderen Schiedsrichter. Pfeil kann sich gut vorstellen, interessierte Kandidaten aus dem Umfeld des ECP auf dem Weg zum Schiedsrichter zu unterstützen. „Die Ausbildung von jungen Kollegen ist sehr wichtig. Da gibt es einiges, was ich ihnen weitergeben kann. Das Auftreten auf dem Eis, die Körperhaltung, die Art, wie man mit den Spieler spricht – das ist alles ganz wichtig für die Autorität des Schiedsrichters.“

In diesem Sinn lautet der Rat von Thomas Pfeil an alle, die sich schon mal über den Schiri geärgert haben: „Erst mal selber in die Rolle schlüpfen – dann weiß man, wie das ist und dann kann man auch über die Leistungen anderer urteilen“ – ganz so wie Thomas Pfeil vor 28 Jahren auch begonnen hat.