"Paul Breitner hat absichtlich weggeschaut"

20.11.2020 | Stand 19.01.2021, 3:33 Uhr
Stationen einer großartigen Karriere: Rosi Berger gehörte in den 1970er Jahren zu den erfolgreichsten Fußballerinnen der Region. Die heute 63-Jährige startete ihre Laufbahn bei der Frauenmannschaft des FC Geisenfeld (unteres Bild, ganz rechts), ehe sie 1973 zum mehrfachen bayerischen Meister FC Bayern München wechselte. −Foto: Berger

Seit 50 Jahren dürfen Frauen in Deutschland auch offiziell Fußball spielen. Die Geisenfelderin Rosina Berger gehörte Anfang der 1970er Jahre zu den Pionierinnen und erlebte beim FC Bayern München viele Erfolge aber auch manche Kuriosität. Die Geroldshausenerin Christine Mirlach und die Pfaffenhofenerin Simone Wagner haben uns ebenfalls ihre Geschichte erzählt.

 

Rosina Berger (63) aus Geisenfeld: "'Miss Fußball' aus Geisenfeld auf Torejagd für die Bayern", "Rosi Lipp schlägt schönere Flanken als die Profis" oder "Sie schoss 27 Tore für Bayern München". Drei Schlagzeilen, die belegen, dass es Rosi Berger (Geb. Lipp) als Fußballerin weit gebracht hat. Die heute 63-Jährige ist von Kindesbeinen mit dem Fußball aufgewachsen. "Als kleines Mädchen hat mich mein fünf Jahre älterer Bruder immer mit zum Fußballplatz in Zell genommen. Dort traf sich Jung und Alt und ich als einziges Mädchen gehörte voll dazu", erinnert sie sich. "Wir waren richtige Straßenfußballer und ich bin einfach 'mitgloffa wie a Bua', da hat keiner was gesagt. Bevor gespielt wurde, kletterte ich bei Günter Reith auf die Schultern und hängte immer das Tornetz ein." Das Fußballfieber hatte sie also längst gepackt, als der FC Geisenfeld 1970 eine Damenmannschaft gründete. Natürlich trat sie dem Team kurz darauf bei. Es war der Beginn einer tollen Karriere.

Als sich die Mannschaft 1973 wieder auflöste, wechselte Berger zu den Damen des TSV Rohrbach. "Bis zu meinem 18. Geburtstag fuhr ich zu jedem Training und Spiel elf Kilometer mit dem Mofa." Berger spielte zu diesem Zeitpunkt bereits in der Bayernauswahl, in der sie auch mit Spielerinnen des FC Bayern München in Kontakt kam. "Sissy Raith, die später eine erfolgreiche Trainerin wurde, war meine Zimmerkollegin in der Sportschule Grünwald und überzeugte mich davon, zum FC Bayern zu kommen", erzählt Berger. Kurz darauf standen Bayern-Trainer Fritz Bank und Abteilungsleiter Hans Press bei ihren Eltern vor der Tür und machten den Wechsel zu den Bayern perfekt. So begann für die Geisenfelderin eine aufregende Zeit.

Sechs Jahre lang, von 1977 bis 1983, schnürte sie für den mehrfachen bayerischen Meister die Stiefel. "Wir gewannen jedes Jahr die bayerische Meisterschaft und wurden zudem zweimal deutscher Vizemeister. Es war eine unglaublich schöne Zeit." Allerdings bekam sie eben auch hautnah mit, dass der Frauenfußball nicht von allen respektiert wurde. "Der Anfang der 1970er Jahre war nicht einfach, denn damals wurden fußballspielende Frauen nicht ernst genommen und belächelt."

 

Selbst Spieler aus der Männermannschaft des FC Bayern hätten sich nicht für das Damenteam interessiert. "Ich erinnere mich an Paul Breitner, der absichtlich auf die andere Seite geschaut hat, wenn er zufällig bei unserem Spiel vorbeigelaufen ist." Auch von damaligen Journalisten seien die Frauen teilweise despektierlich behandelt worden. Oft ging es mehr um das Aussehen statt um das fußballerische Können. Berger erinnert sich an das bayerische Finale 1982: "Es hat in Strömen geregnet und nach dem Spiel sind unsere Haare heruntergehangen wie Sauerkraut, darüber hat sich ein Reporter lustig gemacht." Auch in der Berichterstattung stand nicht immer das Sportliche im Vordergrund. Das lässt sich mit Schlagzeilen wie "Kalte Dusche und nichts Trockenes zum Umziehen" und "Sorgen um die Frisur und Not vor dem Männer-Klo" belegen.

Was Berger ebenfalls störte, war der schon damals große finanzielle Unterschied zwischen Männern und Frauen. "Wir hatten für unser Team ein monatliches Budget von 600 Mark zur Verfügung, ich selbst habe als Spielerin gar nichts verdient."Und nicht mal nach dem Gewinn der Bayerischen Meisterschaft habe es eine Geldprämie gegeben. "Ich habe jedes Mal eine läppische Medaille vom BFV bekommen und für die deutsche Vizemeisterschaft vom DFB eine Kette mit Pokal, nicht aus Gold, sondern aus Blech, die nach ein paar Tagen schon zu Rosten begann."

1983 beendete Berger nach dem Trainingsauftakt ihre Karriere beim FC Bayern München. "Ich hatte mich auf die neue Saison top vorbereitet, aber bei mir war die Luft raus. Meine Wohnung und meine Arbeit waren in meinem Heimatort und die Fahrten zum Training und zum Spiel kamen mir immer länger vor." Die Heimfahrt nach ihrem letzten Training in München werde sie nie vergessen: "Ich habe geweint wie ein Schlosshund, denn es war eine unbeschreiblich schöne Zeit." Noch heute hält Berger zu ein paar Spielerinnen Kontakt. "Mit Sissy Raith und Karin Danner (Managerin FC Bayern) treffe ich mich einmal jährlich im Augustiner in München, um von den alten Zeiten zu schwärmen."

 

Nach der Geburt ihrer beiden Kindern spielte Berger noch ein paar Jahre beim SV Geroldshausen, mit 50 Jahren versuchte sie sich zudem beim FC Geisenfeld als Trainerin einer Juniorinnen-Mannschaft . Allerdings habe sie dabei schnell gemerkt, das bei einigen Spielerinnen die Disziplin und der nötige Respekt gefehlt habe. "Ich erinnere mich noch an ein Hallenturnier in Geisenfeld: Ich wollte meinen Spielerinnen erklären, dass man den Gegnern mit Respekt begegnen muss, aber viele von ihnen haben sich einfach weggedreht und lieber irgendwelchen Jungs hinterher geschaut, dann habe ich wieder aufgehört."

Unabhängig davon sieht Berger auch heute noch viel Entwicklungspotenzial für den Frauenfußball. Zwar sei er mittlerweile in der Gesellschaft akzeptiert, trotzdem werde er nach wie vor zu wenig gefördert. "Ich habe den Eindruck, dass Frauenfußball-Spiele nur dann im Fernsehen gezeigt werden, wenn gerade Mal Platz dafür ist." Auch stört Berger, dass nur beim Fußball ständig der Vergleich zu den Männern gezogen werde. "Das wird im Tennis nicht gemacht, im 100-Meter-Sprint auch nicht, aber im Fußball wirkt es immer so, als müsse sich eine Frau erst beweisen." Auch hoffe sie, dass die Gehälter zwischen Männern und Frauen angepasst werden. "Denn es gibt wenige Frauen, die nach ihrer Bundesliga-Zeit von ihrem Ersparten leben können." Berger ist trotz allem froh über ihren Werdegang. "Der Fußball hat mir unheimlich viel gegeben." Lust zum Kicken verspürt sie übrigens immer noch: "Wenn es heute in Geisenfeld eine Seniorinnen-Mannschaft geben würde, ich wäre sofort dabei."

PK