München
Panoptikum der Zombies

Christian Stückls schräge Version von Ödön von Horváths "Glaube, Liebe, Hoffnung" am Münchner Volkstheater

03.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:06 Uhr
Elisabeth ist in einem Teufelskreis gefangen: ohne Arbeitserlaubnis keine Arbeit, ohne Arbeit kein eigenes Einkommen, ohne eigenes Einkommen keine Chance auf ein rechtschaffenes Leben. Die Szene zeigt Mauricio Hölzemann, Oleg Tikhomirov, Nina Steils, Pascal Fligg und Luise Deborah Daberkow (von links). −Foto: Neeb

München (DK) Nebelschwaden wabern über die dunkle Bühne, die sich langsam erhellt, um den Blick auf das Innere eines trostlosen Anatomiesaales (von Stefan Hageneier) freizugeben, in der zu Lemuren erstarrte lebende Tote auf den Seziertischen liegen und im Raum verteilt regungslos ausharren.

Das Thema von Ödön von Horváths "Kleinem Totentanz in 5 Bildern" (so der Untertitel des 1936 in Wien uraufgeführten Stückes) ist damit vorgegeben: Die in der Wirtschaftskrise der Weimarer Republik arbeitslos gewordene Elisabeth will, um wenigstens in den nächsten Wochen finanziell über die Runden zu kommen, noch zu Lebzeiten ihren Körper für 150 Mark der Anatomie verkaufen. Doch sie gerät nicht nur an seelenlose Bürokraten und an egoistische Männer, sondern auch auf die schiefe Bahn. Für ihre wirtschaftliche und seelische Krise gibt es keine Lösung, nur den Selbstmord.

Was freilich destilliert Christian Stückl, Volkstheater-Intendant und Regisseur dieser Neuinszenierung aus diesem traurigen Psychostück? Er knallt mit reichlich eigenen Ergänzungen ein Panoptikum von Ärzte-, Beamten- und Justizmonstern auf die Bühne. Die Mimenschar stolziert arrogant, menschenverachtend und somnambul oder torkelt von eigener Selbstüberschätzung und vom Bier besoffen durch den in mystisches Licht getauchten Seziersaal, brüllt, schreit und tobt, verdreht Besorgnis erregend die Augen und die Glieder. Die Nosferatu-Zombies sind nicht mehr fern, der Zigarettenrauch des Ensembles dagegen ganz nah. Denn der Dauerqualmer Stückl lässt hier seine Schauspielerinnen und Schauspieler stets zu Zigaretten, Zigarillos und Zigarren greifen, um damit den Nebel zu Beginn dieser schrägen Horváth-Version von einem Nikotin-Nirwana abzulösen.

Pralle Szenen und schier überbordendes Schauspieltheater reiht Stückl hier aneinander. Bisweilen ist dieses Panoptikum der restlos Gestörten und perfiden Typen aber auch allzu dick aufgetragen. Chaoten, zu Horrorfiguren stilisiert, bevölkern hier die Bühne: Oleg Tikhomrov als verklemmtes, stotterndes, greinendes und verschwitztes Nervenbündel eines Anatomie-Präparators, Mauricio Hölzemann als dessen karrieregeiler und mit reichlich Macken versehener Assistent und irrlichternder Transvestit sowie die in mehreren Rollen eingesetzten Carolin Hartmann und Luise Deborah-Daberkow beispielsweise als ordinäre Edelnutten, doch mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Wenn Pascal Fligg freilich als der zwischen den ach so gesetzestreuen Pflichten eines Amtsgerichtsrats und den hormongesteuerten Trieben eines von der Midlife-Crisis arg gebeutelten "Mannes in den besten Jahren" seine diabolischen Blicke auf Elisabeth und die Schönen der Nacht wirft, da feiert Klaus Kinski fröhliche Urständ`. Dazu darf Jakob Geßner als Elisabeths feiger Lover (in einer köstlichen Parodie) als Bodybuilding-Hero seine Muskeln kräftig spielen lassen anstatt zu seiner Braut sich zu bekennen.

Vor allem jedoch brilliert die von Christian Stückl in der Salzburger Mozarteum-Schauspielschule entdeckte Nina Steils als das hier gar nicht so arme Hascherl Elisabeth. Zerrissen zwischen wirtschaftlicher Not und eine von den Männern seelisch und finanziell Ausgebeutete kämpft sie mit Courage gegen all die Erniedrigungen und die ihr von einer rigiden Machogesellschaft zugefügten physischen und psychischen Verletzungen. Eine schauspielerische Glanzleistung.

ZUM STÜCK
Theater:
Volkstheater München
Regie:
Christian Stückl
Bühne und Kostüme:
Stefan Hageneier
Läuft bis:
13. Januar 2019
Kartentelefon:
(089 ) 523 46 55