Pannen und Schlampereien

29.10.2010 | Stand 03.12.2020, 3:31 Uhr
Rudolf Rupp verschwand im Oktober 2001. - Foto: oh −Foto: Foto:

Landshut/Neuburg (DK) Freitag, der 12. Oktober 2001: Gegen Mitternacht verlässt Rudolf Rupp das Sportheim des BSV Neuburg. Acht Halbe Bier hat der Bauer aus dem Neuburger Stadtteil Heinrichsheim zu diesem Zeitpunkt intus. Mit ihm gehen der Wirt und noch zwei weitere Gäste hinaus auf den Parkplatz.

Rupps Frau Hermine, seine zwei Töchter und der damalige Freund einer der beiden werden im Jahr 2005 wegen Totschlags beziehungsweise Beihilfe zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Sie sollen den Bauern zerstückelt und an die Hofhunde verfüttert haben. Im März 2009 kommt dann die Wende: Rupps Leiche wird mitsamt seinem Mercedes aus der Staustufe Bergheim gezogen. Ob jemals aufgeklärt werden kann, wie der damals 52-Jährige tatsächlich zu Tode kam, ist mehr als fraglich – das steht nach den ersten zwei Wochen des Wiederaufnahmeverfahrens am Landshuter Landgericht fest. Schuld daran sind nicht zuletzt zahlreiche Ermittlungspannen.

Die Fehlerserie beginnt schon früh. Etwa eine Woche nach dem Verschwinden Rupps findet ein Nachbarsbub der Rupp-Familie in einem Gebüsch des BSV-Parkplatzes einen Strickpullover, der womöglich dem Vermissten gehört. Angeblich weist das Kleidungsstück am Etikett Blutspuren auf. Die Polizei nimmt den Pulli in Augenschein, doch anstatt ihn in der Asservatenkammer abzulegen, überlassen sie ihn der Witwe. Bei ihr verschwindet er auf Nimmerwiedersehen.

Am 10. März 2009 sollen zwei Schrottautos aus der Donau-Staustufe bei Bergheim (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) geborgen werden. Ein Polizist taucht in die Tiefe und ertastet bei einem der Autos einen Mercedes-Stern. Danach schwimmt er zum Heck, kratzt die Algen vom Kennzeichen und geht mit seiner Taucherbrille ganz nah an die Buchstaben und Zahlen heran. Die Sicht ist äußerst schlecht, doch er kann die Aufschrift entziffern: ND-AE 265 – der Wagen des vermissten Rudolf Rupp!

Durch einen Taucher wird ein Seil an der Hinterachse des Wagens befestigt. Der Kran des ADAC hebt das Fahrzeug an – allerdings viel zu stark. Als sich das Auto zu stark nach vorne neigt, schießt der Schlamm im Inneren nach vorne. Die Windschutzscheibe platzt heraus, und Rupps Oberkörper fällt mit den Schlammmassen in die Donau. Hektisch wird der Leichnam aus dem Wasser gefischt. Fast entschuldigend berichten die Taucher der Technischen Einsatzeinheit (TEE) aus Dachau später, dass man das Gerücht gehört habe, dass sich eine eventuelle Leiche im Kofferraum befinde. Und der sei ja verschlossen gewesen.

"Ich hab’ das kommen sehen", sagt der Leiter des Taucheinsatzes vor Gericht. Er habe noch versucht den Kranführer darauf hinzuweisen, dass er zu stark anhebe. Der aber habe nicht auf ihn reagiert. Dann sei es zu spät gewesen. Das Gewicht des Wagens habe man vor der Bergung nicht berechnet. Was mit dem herausfallenden Schlamm möglicherweise noch alles für immer in der Donau verschwand, wird wohl für immer im Dunkeln bleiben. Seitens der Staatsanwaltschaft heißt es später, die Bergung des Mercedes sei "unglücklich gelaufen".

Fotografisch dokumentiert wurde die Pannen-Bergung des Mercedes mit weniger Aufnahmen als die Bergung des zweiten dort gefundenen Fahrzeugs, welches vollkommen bedeutungslos war. "Für mich war die Anzahl der Bilder ausreichend", rechtfertigt sich der fotografierende Polizist später vor Gericht.

Als das Fahrzeug an Land steht, öffnen Ingolstädter Kripo-Beamte noch vor Ort die Beifahrertür. Jede Menge Schlamm quillt heraus. Erst wühlen sie mit den Händen im Fahrzeuginneren, dann stochern sie mit einem Klappspaten herum. Dann habe man sich aber gesagt: "Wir wollen das ganz genau machen." Das Auto wird in eine Halle zur Bereitschaftspolizei nach Eichstätt überführt.

Dort schaufeln Beamte der Spurensicherung mit einer Maurerkelle den Schlamm aus dem Wagen. Allerdings nur im vorderen Teil des Wagens. Der Fond sowie der Kofferraum, in dem sich unter anderem ein Kasten Bier befindet, sind bis heute nicht genauer untersucht worden.

Ein Beamter der Ingolstädter Kriminalpolizei sagt vor Gericht aus, es habe von Oberstaatsanwalt Christian Veh eine klare Anweisung gegeben, immer nur auf Anordnung zu ermitteln. Und als Veh am 17. März 2009 in der Halle vorbeischaute, habe man ihn so verstanden, dass man nicht weiter ermitteln solle. Veh leitete die Ermittlungen bereits 2005.

Ein anderer Beamter sagte in Bezug auf den Kofferraum etwas anderes: "Das war für uns nicht von Belang." Deshalb habe man den Inhalt nur in Augenschein genommen und fotografiert. Es sei nur minimal Schlamm darinnen gewesen. Dem widerspricht der Kfz-Sachverständige: Der Kofferraum sei "massiv" verschlammt gewesen, außerdem habe dort jemand "gegraben."

Erst am Donnerstag verfügte der vorsitzende Richter im Wiederaufnahmeverfahren, Theo Ziegler, dass das Fahrzeug nun noch einmal genau untersucht werden soll. Der Mercedes befindet sich auf dem Gelände eines Gutachters in Landshut.

Äußerst fragwürdig ist auch, dass bei den Ermittlungen nach dem Leichenfund zwei Ingolstädter Beamte beteiligt waren, die bereits im Vorfeld des ersten Prozesses 2005 ermittelten.

Die Rechtsanwältin einer der Rupp-Töchter bezeichnete die Ermittlungen der Polizei im Fall Rupp als "dilettantisch". Und sogar der jetzige Staatsanwalt Ralph Reiter musste zuletzt zugeben: "Dass hier Ermittlungspannen passiert sind, ist klar."

An exakt der Stelle, an der Rupps Mercedes im März 2009 gefunden wurde, hatte die Polizei bereits im Jahr 2004 mit Tauchern gesucht – aber nichts gefunden. Wahrscheinlich war der Wagen nur um wenige Meter verpasst worden. Nur warum? Auch das ist ein Rätsel, das vermutlich nie mehr geklärt werden kann.