München
Packendes Seelendrama

Die Staatsoper München startet mit der Neuproduktion von Donizettis "La Favorite" in die Spielzeit

24.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:08 Uhr

In sich gefangen: Elina Garanca als Léonor, Matthew Polenzani als Fernand (links) und Mariusz Kwiecien als König Alphonse. Regie bei der intensiven Produktion führte Amélie Niermeyer. - Foto: Wilfried Hösl

München (DK) Donizettis 1840 für die Pariser Grand Opéra komponierte "La Favorite" ist ein düsteres Sujet rund um Léonor, (unfreiwillig) Mätresse des Königs Alphonse XI., die im Machtkampf zwischen Religion und Staatsmacht zerrieben wird - gemeinsam mit ihrem Geliebten Fernand, der für sie das Klosterleben aufgibt. Wie später die von Verdis "Traviata" endet auch Léonors Geschichte tödlich.

Dass Münchens Staatsoper mit dieser ersten Neuproduktion in die neue Spielzeit startet, verwundert aufs Erste. Ist das Stück doch heute sehr selten gespielt und nicht gerade dazu angetan, aktuell bewegende Themen zu diskutieren. Umso mehr überraschte bei der Premiere die Intensität einer Produktion, für die zwei starke Frauen stehen: Elina Garanca - eine der besten und klügsten Sängerdarstellerinnen unserer Tage - und Regisseurin Amélie Niermeyer, die unter anderem als Generalintendantin am Düsseldorfer Schauspielhaus wirkte und derzeit am Salzburger Mozarteum den Studiengang für Schauspiel und Regie leitet.

Niermeyer gelingt in Donizettis dunklem Werk eine psychologisch bis ins Detail durchdachte, spannende Deutung: Schärfer kann man die Charaktere des "Dreiecks" aus König Alphonse, Léonor und Fernand nicht herausarbeiten. Hier ein machtbesessener, aber auch infantiler, emotional unreifer König, der sein "Spielzeug" Léonor nicht hergeben will, dort ein naiver, weltfremder Mann, der das Kloster für eine unbekannte Frau verlässt - und nicht bereit ist, seine religiösen Wertvorstellungen über Bord zu werfen, als er erfährt, wer sie wirklich ist. Und dazwischen Léonor: kein Opfer, sondern eine starke, schöne Frau im roten Samtmantel, die sagt, was sie will, und schließlich an einer männerdominierten Gesellschaft in Kirche und Staat zerschellt.

Doch nicht nur diese beiden Gegenpole sind es, die letztlich das Scheitern jeglicher Beziehung verursachen: Die Personen sind zu sehr in sich selbst gefangen, um dem Schicksal die Stirn bieten zu können. Hier spielt das Bühnenbild von Alexander Müller-Elmau als Seelenlandschaft überzeugend mit: überall graue Gitterwände, die Personen mal bedrängend, mal trügerische Wunschbilder verheißend. Letztere wirken gerade aufgrund der Kargheit der Produktion so verheißungsvoll. Denn erotische Wunschfantasien dürfen hier nur in der mehrfachen Gestalt einer schmerzenreichen Madonna existieren, Liebeserfüllung scheint nur im Glauben möglich. Kongenial mischen sich hier die immer wieder gleichzeitig ent- wie verhüllenden Kostüme von Kirsten Dephoff ein, die Heilige wie handelnde Frauen zum Objekt der Begierde machen - unter strikter Einhaltung einer grauen Businesskleidung auf männlicher Seite, versteht sich.

Niermeyer hat aber nicht nur ein gutes Gesamtkonzept, das ein vergessenes, schwieriges Werk zu einem packenden Seelendrama macht, sondern auch die Fähigkeit, aus Sängern Darsteller ersten Ranges zu machen. Mutig streicht sie das (für die Pariser Oper stets obligatorische) Ballett und ersetzt es durch einen "Kinoabend", den Alphonse mit Léonor verbringt: eine Pantomime, die nicht nur die Schwächen dieser Beziehung schonungslos aufdeckt, sondern auch das komödiantische Talent von Mariusz Kwiencien erleben lässt, der ansonsten mit gut geführtem Bariton überzeugt. Staunen macht nämlich auch die musikalische Seite des Abends.

Alle, durchwegs alle Protagonisten sind bestmöglich besetzt - bis hin zu Mika Kares als Balthazar, einem finnischen Bass, der Tiefe, Ausdrucksstärke und Bühnenpräsenz vereint und das Zeug hat, einer der ganz Großen seines Fachs von morgen zu werden.

Der Star des Abends - angenehmerweise völlig ohne Star-Allüren stimmlicher wie persönlicher Art - heißt natürlich Elina Garanca, die als Léonor ihr Bühnendebüt gibt: mit vollem, samtig weichem und dennoch dramatisch leuchtendem Mezzosopran und einer unnachahmlichen Bühnenpräsenz. Der schlanke, leuchtende Tenor von Mat-thew Polenzani als Fernand ist dazu die perfekte Ergänzung. Ebenso wie Karel Mark Chichon am Pult des Bayerischen Staatsorchesters, der dramatisch-feurig dirigiert, aber auch in die Feinheiten der Instrumentierung dieser Musik hineinhört - und die Sänger durchwegs optimal stützt. Ein denkwürdiger Abend.

Weitere Vorstellungen gibt es im Oktober und November sowie im Juli 2017. Weitere Informationen im Internet unter www.staatsoper.de" class="more"%>.