Ingolstadt
Optische Opulenz, vitale Freude

15.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:51 Uhr

Reizvolle Zirkusgeschichte: Insgesamt rund 140 Schüler beteiligten sich an dem Ingolstädter Zirkusprojekt. - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) "Unbedingt: Antigone!" – das waren hoch konzentrierte Trommelklänge, stringente Inszenierung, machtvoll kanalisierte Energie. Und heuer? Buntes Treiben, optische Opulenz, wild wuselnde Jugendliche, vitale Freude. Mit einem kompletten Gegensatzprogramm zum vergangenen Jahr wartete zur Premiere das neue Jugendkulturprojekt "Zirkustheater Überflieger" auf. Und zeigte sich damit mindestens genauso gelungen wie die hochqualitative Klangtheaterperformance 2009. Beifallsstürme, ein entzücktes Publikum, strahlende Darsteller – was will man mehr

Vieles war anders diesmal beim fünften integrativen Großprojekt der Stiftung Jungend fragt. Der Aufführungsort etwa: Statt der bisherigen Viehmarkthalle ein echtes Zirkuszelt. Die nie dagewesene Größe des Ensembles mit 140 Jugendlichen. Seine Zusammensetzung: Erstmals waren neben Schülerinnen und Schülern aus Haupt-, Realschulen und Gymnasien sowie Audi-Azubis auch Gymnasiasten aus der Ingolstädter Partnerstadt Kragujevac dabei. Vor allem aber das Konzept: In den Hintergrund getreten schien die hehre Idee "richtiger" Kultur und stellte ganz die Jugendlichen, ihren Spaß, ihre Freude und ihre individuellen Fähigkeiten vorne an. Was der Inszenierung keinen Abbruch tat.
 

Eine reizende Zirkusgeschichte, gespickt mit einer Love-Story, den Konflikten einer rivalisierenden Gang und vielen aktuellen Bezügen zu Problemen von Jugendlichen, die nicht in heilen Familienwelten aufwachsen dürfen, haben Regisseur Pierre Walter Politz, Choreografin Annette Taubman und ein wahres Heer an Straßenkünstlern, Hip-Hoppern und Artisten mit ihrer Riesencrew erarbeitet. Die wird getragen von anfeuernder Zirkusmusik des Gundolf Nandico, der auch den strengen Zirkusdirektor spielt. Zu den wilden Klängen stürmen sie gleich anfangs in die Manege: Die Jongleure, Clowns, Feuer- und Luftartisten, die "Tiere" in Form von Stelzengängern. Erstaunliche und temporeiche Zirkuskunst ist zu sehen: Vom flotten Gruppen-Einradfahren über den Menschenturm und halsbrecherische Trampolinsprünge bis hin zu seilgesicherter Luftartistik unter der Zirkuskuppel.

Das alles steht freilich nicht für sich, sondern ist eingebunden in die Geschichte des Jungen Matti, der sich in die Artistin Tamina verliebt, obwohl er doch eigentlich der Gang der toughen Angel angehört. Da gibt es – neben viel zu lachen – anrührende oder geradezu träumerische theatrale Momente – und packende Gruppenchoreografien, die Anziehung, Abstoßung, Aggression, Annäherung schildern. Schön: Man baut auf die Körpersprache der Jugendlichen – und ihren typischen Jargon – und führt sie so zu bebend stimmigen Leistungen.

Und gut sind sie alle, die ein halbes Jahr probten und trainierten für diesen ihren Auftritt.

Richtige Highlights aber setzen der artistische Paul Marketon als verliebter Matti, Shirin Hamo als temperamentvolle Tamina, und ihre Konkurrentin, die mit sparsamen Mitteln unglaublich authentisch aufspielende Anelise Coroiu als wilde Gangführerin Angel. Die Rolle des Publikumslieblings indes gebührt zweifelsfrei dem Zirkuslehrling "Da Capo" alias Ömer Arslantürk: Seine komischen, selbstbewussten, macho-vitalen Auftritte sind beim Premierengeplauder später immer wieder Thema.