Ingolstadt
Oper ohne Worte

Les Vents Français und das Münchener Kammerorchester zelebrieren bei den Sommerkonzerten einen Triumph der Kammermusik

05.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:40 Uhr
Edles Ausatmen: Nur bei der Zugabe, einem Allegro von Jacques Ibert, standen alle Musiker von Les Vents Français auf der Bühne. −Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) Dirigenten sind wichtig.

Sie gehören zu Orchestern wie der Abteilungsleiter zur Abteilung. Wenn er fehlt, tritt vielleicht in Büros unmittelbar das Chaos ein, nicht jedoch in der Musik. Denn dann entwickelt sich im besten Falle Kammermusik - eine eher demokratische Variante des Musizierens.

Beim Konzert des Münchener Kammerorchesters bei den Audi-Sommerkonzerten gab es keinen Dirigenten, und es war auch keiner nötig. Denn die Musiker erschienen als Orchester, sie spielten aber letztlich wie ein kleines Ensemble. Und das auf dem denkbar höchsten Niveau.

Eröffnet wurde der Abend mit einer der bekanntesten frühen Mozart-Sinfonien, der in A-Dur KV 201. Ein Stück, das für die meisten Musiker kein großes Problem darstellt. Aber die Münchener entdeckten neue Nuancen im polyphon geflochtenen Notentext, hörten intensiv aufeinander und spielten mit einer Energiegeladenheit, einem Zusammenhalt wie man es sonst in Ingolstadt sehr selten zu hören bekommt. Sicher: Die Spielweise war modern, die Musiker vermieden, anders als die Originalklang-Ensembles, kein Vibrato, keinen gefälligen weichen Ausdruck. Ihre Gangart war niemals ruppig oder blass, trotz enormer dynamischer Differenzierungen.

Aber die Mozart-Sinfonie war nur die Einleitung des Konzerts, Eröffnung für ein noch mitreißenderes Ereignis: den Auftritt von Les Vents Français. In dem Ensemble haben sich einige der weltbesten Bläser zusammengefunden, im Mittelpunkt steht offenbar Emmanuel Pahud, Soloflötist der Berliner Philharmoniker. Die Musiker treten in verschiedenen Formationen auf. Beim Konzert im Ingolstädter Festsaal betraten zunächst der Klarinettist Paul Meyer und Pahud in der Sinfonia Concertante B-Dur von Franz Danzi (1763-1826) die Bühne.

Es gibt wahrscheinlich so gut wie gar keine Konzerte für diese Besetzung, Flöte und Klarinette ergänzen sich eigentlich nicht gerade ideal, denkt man. Aber man kann sich irren. Vor allem hebt sich der Klang deutlich voneinander ab. Beide Instrumente vermögen die gleichen melodischen Wendungen anzustimmen, aber sie wirken sehr unterschiedlich, weil der Klang der Flöte silbrig fein ist, der der Klarinette fülliger, dunkler.

Aber es trat in Ingolstadt noch ein anderer Effekt ein: Die beiden Musiker warfen sich nicht nur musikalisch die Bälle zu - sie waren auch Konkurrenten: Es ging darum, wer kraftvoller spielt, wer den unterhaltsamen Themen einen individuellen Ausdruck verleihen kann. Das pfiffige zweite Thema im Kopfsatz ließ Pahud etwa eigentümlich tänzeln, voller hintergründiger Effekte, während Meyer hier etwas zurückhaltender blieb und den melancholischen Charakter der Melodie herauskehrte.

Bei François Deviennes (1759-1803) Sinfonia Concertante trat das Ensemble in größerer Besetzung auf, neben Pahud standen noch Gilbert Audin (Fagott) und Radovan Vlatkovic (Horn) auf der Bühne. Und erstmals der Oboist François Leleux, eine wahre Stimmungskanone.

Leleux ist in Ingolstadt längst bekannt, als Ehemann von Festivalleiterin Lisa Batiashvili, aber auch als kompetenter Dirigent des Georgischen Kammerorchesters. Er ist hier zusammen mit seiner Frau aufgetreten und konnte zeigen, was für ein fulminanter Musiker mit riesiger Ausstrahlung er ist. Leleux beherrscht ein Instrument, das vielleicht weniger gefragt ist als die Geige, im Schatten seiner Frau steht er künstlerisch jedoch mitnichten.

Man spürte beim Devienne, wie es Leleux in den Fingern zuckte, wie er nur zu gerne die Rolle des Dirigenten übernommen hätte. Ein hinreißender Moment war es allerdings, als er zur Oboe griff.

Beim Devienne ist es ein wenig so, als würde Oper ohne Worte gegeben, als wenn jeder Musiker sich für die Musik maskiert hätte und nun eine Rolle übernehmen würde. Leleux war dabei zweifellos der Komiker, der mit seiner überwältigenden Tonschönheit, der kecken Strahlkraft seines Instruments alle übertrumpfen konnte. Flötist Pahud wollte auch Primadonna sein, konkurrierte ein wenig um die Position des Schönsten, Schnellsten und Kraftvollsten mit Leleux, während Hornist Vlatkovic wie ein warmherziger Senior das Geschehen elegant ergänzte. Ein wenig blass blieb in der Musikkomödie allein Fagottist Gilbert Audin.

Das dramatische Geschehen fand seine Fortsetzung in Mozarts Sinfonia Concertante KV 297b, diesmal allerdings mit dem ruhigen Klarinettisten Meyer anstelle von Pahud.

Wenn man nach dem Jubel des Publikums urteilen sollte, war dieser Abend zweifellos der größte Erfolg der diesjährigen Runde der Sommerkonzerte. Dabei ging es doch auf der Bühne eigentlich nur um eine besonders edle Form des Ausatmens.

Jesko Schulze-Reimpell