Ingolstadt
Chancen für Tagträumer

Der Didaktiker Heiner Böttger spricht über die Zukunft des Lernens

05.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:40 Uhr

Ingolstadt (DK) Einen Systemwechsel in der institutionalisierten Umsetzung von Bildung und Erziehung fordert mit Nachdruck Heiner Böttger, Professor für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der katholischen Hochschule Eichstätt-Ingolstadt.

In seinem Impulsvortrag im Rahmen des Symposiums "Hochschulen der Zukunft", der wiederum eingebettet war in den Jungen Futurologischen Kongress, nannte er zehn Aspekte eines zukunftsorientierten Paradigmenwechsels - Überraschungen inklusive. Allerdings seien diese nur für den Zuhörer überraschend, nicht für die Fachwelt.

"Wir brauchen Erziehung und Bildung, aber anders", leitete Böttger seine Argumentation ein. Entsprechende Forschungsergebnisse gebe es längst, aber oft lägen diese zehn Jahre in den Schubladen. "Das können wir uns nicht leisten", berichtete Böttger und rief seine Mitstreiter dazu auf, Allianzen zu bilden, um den Systemwechsel voranzutreiben. Lust, sich zu engagieren, bekam der Zuhörer spätestens, als es um das "Aufräumen mit Mythen" ging. Da wäre zuerst der Mythos von der "Linearität im Lernen", von dem wir stets ausgingen und den wir unseren Kindern "erzählten". Tatsächlich sei der Lernprozess eben nicht linear, vielmehr sei der Prozess geprägt von Vor- und Rückschritten. Kurz: "Zweidimensionalität gibt es nicht. " Lernen sei dreidimensional.

Gerade im Fach Englisch würden die meisten Schüler daher auch nicht über das schlichte Anwenden des Gelernten hinauskommen, zur "kreativen Kombination" führe diese Methode nicht.

Außerdem werde Kindern "permanent" die Welt erklärt. Aber: "Das führt nicht weit. " Um beispielsweise eine Sprache über Erklärung zu lernen, bräuchte der Mensch Studien zufolge 400 Jahre. Tatsächlich könne ein ganz anderer Faktor beim Lernen relevant sein: das implizite Gedächtnis. Im Gegensatz zum expliziten, das trainiert werden könne, aber geprägt sei vom "schmerzhaften Lernen" und begleitet würde von Sprüchen wie "Pass auf, konzentriere dich! ", sei das implizite nicht trainierbar. Dafür bedeute es aber "lernen en passant". Das Geheimnis: Das implizite Gedächtnis arbeitet durch Netzwerken im Gehirn. Warum wird das implizite Gedächtnis aber in der Schule dennoch nicht genutzt? Die einfache Antwort laute: "Weil es nicht abgeprüft werden kann. "

Böttger verwies auf einen weiteren Konsens: den "social jetlag", der die um zwei bis drei Stunden verschobene Zeitschiene von Pubertierenden benennt. Im Beruf gäbe es Gleitzeit, in der Schule nicht, beklagt Böttger. Überhaupt sei unser Schulwesen von "Gleichmacherei" geprägt. "Wir leisten es uns, Kinder im gleichen Raum unter gleichen Bedingungen die gleichen Inhalte zu vermitteln. " Allein der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen sei "nicht mehr verhandelbar". Weitere Aspekte in seinem Vortrag galten der Bedeutung von mehrsprachiger Erziehung als beste Voraussetzung zum Lernen weiterer Sprachen, die Zeitschiene (bis zum fünften Lebensjahr) dieses Spracherwerbs sowie der "Education für alle".

Zuletzt eine gute Nachricht: Zu Unrecht negativ konnotiert sei das "Tagträumen". Dabei sei diese scheinbare Phase der Untätigkeit eine große Chance - hier kommen uns die besten Ideen! Foto: privat

Claudia Borgmann