Wie
Ohne Unterstützung der Bevölkerung

Theresa Knöferl aus Böhmfeld eröffnete Vortragreihe "Eichstätt unterm Hakenkreuz"

29.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:09 Uhr

Märzwahl: Die NSDAP kann einen gewaltigen Wählerzustrom verbuchen.

Wie war es möglich? Wie konnte Adolf Hitler die Macht erringen und dann innerhalb kürzester Zeit eine totalitäre Diktatur in Deutschland errichten?

Diese wichtige Frage der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts konnten die Forscher bisher nur durch eine Betrachtung der „großen Politik“ beantworten. Aber ist es nicht der eigene Heimatort und die Region, in der wir leben, die das Denken und Handeln wesentlich beeinflussen? Der Blick auf das Lokale kann dazu beitragen, die Frage zu klären, wie der nationalsozialistische Machtanspruch überhaupt umgesetzt und erhalten werden konnte. Zum Teil bisher ungesichtete Quellen, Akten aus verschiedenen Archiven in Eichstätt, Nürnberg und München und Zeitungsartikel können das Bild zusammenfügen. Und – so lange es noch geht – sind die wichtigsten Quellen die letzten Zeitzeugen aus Eichstätt und Umgebung. Theresa Knöferl aus Böhmfeld (kleines Foto) war nun die erste, die ihre Arbeit mit dem Titel „Machtergreifung im katholischen Bayern. Das Beispiel Eichstätt“ der Öffentlichkeit präsentierte.

Knöferls Arbeit dürfte als „sozialhistorisch sensible Politikgeschichte“ zu verstehen sein, die versucht, die politischen Ereignisse des Jahres 1933 in Eichstätt zusammenzutragen. Im Zentrum der Forschung: der Regierungsantritt Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 bis zur Auflösung der Bayerischen Volkspartei (BVP) im Juni 1933. Gegenstand der ersten Untersuchungen der Studentin war die Nazifizierung der Kommunalpolitik und die Nazifizierung des öffentlichen Lebens in Eichstätt. Um diese Vorgänge verstehen zu können, muss man sich das damalige Eichstätt vor Augen führen. Eine Kleinstadt, die kaum industrialisiert war, ein sehr geringes wirtschaftliches Wachstum zu verbuchen hatte und „durchaus als ärmere Region“ zu bezeichnen war.

Hier ergibt sich für die Domstadt aber auch eine Besonderheit: Durch die geringe Industrialisierung und das fehlende Bevölkerungswachstum weichten auch die Konfessionsgrenzen nicht auf. Demnach war es möglich, so folgert Knöferl in ihrer Arbeit, Eichstätt exemplarisch für das sogenannte „katholische Milieu“ aufzuführen. „Die hohe Bindekraft des katholischen Sozialmilieus kam auch auf politischer Ebene in Form der BVP zum Ausdruck.“ Dazu gehört das Wahlverhalten. Eichstätt galt, so haben es Knöferls Studien ergeben, als Hochburg der BVP. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, kurz NSDAP, hatte hingegen in der Kleinstadt so wenig Stimmen wie nirgendwo sonst im Regierungsbezirk.

Dann kam es zu den Märzwahlen und die Ereignisse überschlugen sich. Schon im Vorfeld kündigte die NSDAP einen rauen Ton an. Für die BVP ging es „um alles oder nichts“. Wie haben sich wohl die Eichstätter entschieden? Die NSDAP konnte einen gewaltigen Wählerzustrom verbuchen und hisste am 9. März gegen acht Uhr abends auf dem Rathaus und am 10. März auf dem Bezirksamtsgebäude ohne Zwischenfälle die Hakenkreuzfahne.

So kam es auch in Eichstätt dazu, dass politische Gegner der NSDAP in sogenannte „Schutzhaft“ genommen wurden. Regimegegner und andere „missliebige“ Personen wurden dabei willkürlich inhaftiert. Führende Mitglieder des Reichsbanners, der Eisernen Front oder der KPD wurden zeitweilig eingesperrt. Oberste Priorität für die neuen Machthaber nach dem Machtwechsel war es, die wichtigsten lokalen und regionalen Verwaltungsebenen mit Anhängern der nationalsozialistischen Bewegung zu besetzen.

Wie die 23-jährige Knöferl jedoch herausfand, wurden in Eichstätt kaum Personen aus ihren Ämtern entlassen: BVP-Bürgermeister Otto Betz konnte sein Mandat bis Anfang 1934 behalten. Dennoch stellte Knöferl im Laufe ihrer Arbeit fest, dass vor allem Nationalsozialisten in der städtischen Beamtenschaft befördert wurden. Im Zuge des „Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ war es den Nazis möglich, alle Räte neu zu bündeln.

Für den Eichstätter Stadtrat ergaben sich nach Knöferls Studien folgende Zahlen: acht Mandate für die BVP, sechs für die NSDAP und ein Sitz für die SPD. Damit war die NSDAP in Eichstätt, anders als in vielen anderen Orten, nach wie vor nicht in der Mehrheit. Allerdings gab es nunmehr auch erstmals eine NSDAP-Fraktion in der Domstadt. In Folge einer weiteren Verordnung der Nationalsozialisten wurden im Juni 1933 „sämtliche Stadtratsmitglieder von der städtischen Polizei und SA in ,Schutzhaft' genommen“, erklärte die Geschichtswissenschaftlerin. Aufgrund dieser Ereignisse sah sich die BVP zur Selbstauflösung gezwungen. Die Folgen zeigten sich in der Machtverteilung: Der Stadtrat sollte künftig ausschließlich durch Nazis besetzt werden.

Bei der Darstellung der Nazifizierung des öffentlichen Lebens stieß Knöferl auf ein Problem: „mangelhaften Quellenlage“. Sie könne deshalb keinen umfassenden Einblick in die Umgestaltungen und personellen Neubesetzungen der gesellschaftlichen Organisationen in Eichstätt geben. Dennoch konnte sie einige neue Erkenntnisse gewinnen.

Es kam nach ihren Worten zu Auseinandersetzungen zwischen der Eichstätter Volkszeitung, dem Sprachrohr des politischen Katholizismus, und der NSDAP. Der sogenannte „Zeitungsstreit“ begann am 20. März 1933. Der Eichstätter Anzeiger, das neue Tagesblatt der Nationalsozialisten, verlangte vom Bischöflichen Ordinariat die Herausgabe der Gottesdienstordnung, um diese auch selbst abzudrucken. Die Bischöfliche Kurie lehnte ab und der Konflikt spitzte sich immer mehr zu.

Für die Eichstätter Volkszeitung sprach das Bezirksamt daraufhin ein Erscheinungsverbot aus. Das Ergebnis des „Zeitungsstreites“: Die Eichstätter Volkszeitung verpflichtete sich am 3. Juli, Feindseligkeiten gegenüber der NSDAP nicht mehr abzudrucken, um „so ihren Beitrag zur Neugestaltung des Vaterlandes zu leisten“, zitierte Knöferl aus den Quellen. Auch wenn die Zeitung es sich nicht nehmen ließ, weiterhin den katholischen Geist zu verbreiten, hätte sie „den Prozess der ,Selbstgleichschaltung' vollzogen“, so Knöferl weiter.

Vor ihrem Resümee erläuterte die Referentin auch die Entwicklung der NSDAP in Eichstätt. Bei ihren Recherchen fand Knöferl heraus, dass es in Eichstätt bereits 1922 eine eigene NSDAP-Ortsgruppe gegeben hat, die Anfang der 1930er Jahre bis zu 80 Mitglieder zählen konnte. Knöferl stieß, wie sie selbst sagte, bei ihren Studien zur NSDAP vor allem auf die Namen des Kreisleiters Krauß, des Sonderkommissars Schneemann sowie des Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, Thierath. „Diese Personen bildeten die Führungsriege der NSDAP in Eichstätt und standen somit im öffentlichen Interesse.“ Seit 1923 gab es in Eichstätt auch eine Sturmabteilung (SA). „Weitere Unterorganisationen der NSDAP, die es auch in Eichstätt gab, waren neben den Jugendorganisationen HJ und BDM, der NS-Bauernbund, der NS-Reichsverband der Kriegsopfer, der Kampfbund für den gewerblichen Mittelsand, eine Forst-Fachschaft, die NS-Frauenschaft, der NS-Lehrerbund sowie eine SA-Kapelle. Die Vielzahl an NS-Organisationen zeigt die Ausbreitung und Reichweite der Partei zu Beginn des Regimes“, so Knöferl.

Dabei, so betonte die Referentin, stammte ein Großteil der NSDAP-Sympathisanten aus den unteren sozialen Schichten in Eichstätt. Knöferl in ihrer Schlussbetrachtung die Hauptfrage ihrer Abschlussarbeit zu beantworten: „Inwieweit konnte sich der nationalsozialistische Machtanspruch in dem katholischen Milieu der Kleinstadt Eichstätt Anfang 1933 durchsetzen“ Bei der Bearbeitung dieser Frage konnte die Referentin herausarbeiten, dass es „beträchtliche Bruchlinien im katholischen Milieu gab“, da die Zahl des NSDAP-Neuwähler höher als die Abwanderung der Wählerstimmen der BVP war. Insgesamt konnte Knöferl keine „große Begeisterung gegenüber dem Nationalsozialismus in Eichstätt“ feststellen.

Doch auch wenn die „Machtergreifung“ durch die Nazis in Eichstätt nicht von der Bevölkerung unterstützt wurde, „kam es aber auch nicht zu öffentlichen Unmutsbekundungen“, so die Studentin. Ihr Resümee: „Alles in allem zeigt sich, dass die Nazifizierungsprozesse auf kommunalpolitischer Ebene auch im katholischen Eichstätt ohne größere Auseinandersetzungen von statten gingen.“ Aufgrund ihrer Studie ordnet Knöferl die Stadt Eichstätt in den Forschungsstand, „der von einer passiven bis bereitwilligen Anpassungsbereitschaft gerade in der Anfangsphase des „Dritten Reiches“ ausgeht“, ein.