Ingolstadt
"Obama ist in der US-Gesellschaft stark umstritten"

Der Eichstätter Politikwissenschaftler Klaus Stüwe erklärt, warum dennoch die Chancen des Republikaners Mitt Romney schwinden

05.11.2012 | Stand 03.12.2020, 0:52 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Der USA-Kenner und Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Klaus Stüwe (Foto), verfolgte den US-Wahlkampf live bei einem Aufenthalt in den Staaten vor sechs Wochen. Derzeit nimmt er an einer Sicherheitskonferenz in Barcelona teil und nahm sich Zeit für die Fragen unserer Redakteurin Gabriele Ingenthron.

Herr Professor Stüwe, wer wird das Rennen machen?

Klaus Stüwe: Das ist reine Spekulation, aber ich gehe davon aus, dass US-Präsident Barack Obama ein paar Punkte mehr bei den Wahlmännerstimmen haben und von daher das Rennen machen wird.

 

Hat der Hurrikan „Sandy“ das Ruder für den Demokraten Obama herumgerissen?

Stüwe: Solche Ereignisse in letzter Minute vor der Wahl begünstigen immer den Amtsinhaber. Da können sich die Amtsinhaber als Staatsmänner und fürsorgliche Staatsoberhäupter der Wahlbevölkerung präsentieren.

 

Trotzdem hat der Republikaner Mitt Romney immens aufgeholt, wie hat er das geschafft ?

Stüwe: Es macht deutlich, dass Obama in der amerikanischen Öffentlichkeit keineswegs so akzeptiert ist, wie wir das aus europäischer Sicht immer glauben. Er ist bei weiten Teilen der Bevölkerung stark umstritten. Ich habe es in den USA noch nie erlebt, dass die Politikprogramme, die die beiden Kandidaten anbieten, sich so polarisieren wie dieses Mal. Die Fragmentierung und Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist enorm tief. Es geht hier nicht nur um Personen, sondern es geht hier um ganz unterschiedliche Politikvorstellungen. Man wird sehen, welche sich durchsetzt.

 

Wie sieht denn das Politikverständnis von Romney aus?

Stüwe: Der republikanische Präsidentschaftskandidat vertritt den klassischen liberalen Ansatz vieler Amerikaner, dass der Staat im öffentlichen und privaten Leben nur eine untergeordnete Rolle spielt: Jeder ist seines Glückes Schmied und für sein Fortkommen selbst verantwortlich.

 

Und wie ist das bei Obama?

Stüwe: Er vertritt eine Richtung, die das Individuum zwar auch sehr stark schätzt, aber im Falle von Schwierigkeiten und Scheitern die Rolle des Staates sehr viel stärker sieht. Man sieht das im Bereich der Gesundheitspolitik. Er möchte mehr staatliche Intervention, als das die Amerikaner bisher gewohnt waren. Viele wünschen das, vor allem aus den schwächeren Schichten, aber große Teile des Mittelstands und der wohlhabenden Schichten, die können mit dieser Form der Staatlichkeit nur wenig anfangen.

 

Das würde doch für einen Sieg Mitt Romneys sprechen.

Stüwe: Wenn die konservativen Staaten des mittleren Westens das Sagen hätten, dann würde Mitt Romney gewinnen. Aber Obama hat das Glück, dass seine Wählerschichten in den Staaten leben, die sehr viele Wahlmännerstimmen haben, zum Beispiel in New York oder auch in Kalifornien, und die werden am Ende dafür sorgen, dass Obama sehr viele Wählerstimmen bei der Endauszählung bekommt.

Wenn Obama siegt, verdankt er das also dem amerikanischen Wahlsystem?

Stüwe: Es ist eben in Amerika nicht allein der Wählerwille, der entscheidet, sondern auch die föderative Idee, die bei der Auszählung berücksichtigt wird. Die begünstigt eher solche Kandidaten, die in den urbanen Zentren, in den dicht besiedelten Bundesstaaten im Osten und Nordosten und in Kalifornien die meisten Punkte machen. Das kann im Extremfall dazu führen, dass ein Präsident zwar weniger Stimmen bei der Wahlbevölkerung hat, aber mehr Stimmen von den einzelnen Staaten bekommt.

 

Die Deutschen stehen auf Obama. Woran liegt das, dass wir mehrheitlich eher zu den demokratischen Präsidentschaftskandidaten tendieren?

Stüwe: Aus europäischer Sicht ist ein demokratischer Kandidat immer ein bisschen sympathischer, weil er stärker auf das europäische Verlangen nach Sozialpolitik eingeht und mehr für seine Bürger tut.

 

Was heißt es für Europa, wenn Obama siegt?

Stüwe: Mein Eindruck ist, dass Obama die Einbindung der Verbündeten bei internationalen Entscheidungen und Missionen viel wichtiger war als seinem Vorgänger George W. Bush.

 

Und wenn Mitt Romney Präsident wird?

Stüwe: Da lassen die bisherigen Ankündigungen jedenfalls einen solchen multilateralen Ansatz eher vermissen. Er plädiert für starke Vereinigte Staaten von Amerika, für Stärke in der Außenpolitik, für ein starkes Militär. Es könnte für die Verbündeten bedeuten, dass sie ein bisschen weniger berücksichtigt werden. Und innenpolitisch hat er viele Ankündigungen gemacht. Zum Beispiel, dass er so schnell wie möglich die Gesundheitsreform rückgängig machen will.