Berlin
Nur keine roten Linien

Union, FDP und Grüne laufen sich für Sondierungsgespräche warm

28.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:25 Uhr

Mahnung an die Union: Grünen-Chef Cem Özdemir warnte gestern davor, schon vor den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition hohe Hürden aufzubauen. - Foto: Macdougall/AFP

Berlin (DK) "Wir waren ganz nah dran", erinnert sich CSU-Chef Horst Seehofer. Siebeneinhalb Stunden lang hatten sie intensiv gerungen. Doch am Ende hatte es für Schwarz-Grün doch nicht gereicht. Bei der Union macht man Grünen-Politiker Jürgen Trittin für das Scheitern damals im Oktober 2013 verantwortlich. Der frühere Bundesumweltminister habe die Aufnahmen von Koalitionsverhandlungen torpediert.

Trittin bestreitet das. Jetzt, vier Jahre später, wird er wieder mit am Verhandlungstisch sitzen, wenn es darum geht, die Chancen für ein Jamaika-Bündnis, eine Regierungskoalition von Union, FDP und Grünen auszuloten. Und noch haben die Sondierungen gar nicht begonnen, da sendet der Grüne bereits erste Warnungen an die Union: CDU und CSU müssten sich jetzt entscheiden, was sie eigentlich wollten. "Wollen sie jetzt nach rechts rücken? Dann wird das nichts mit dieser Konstellation", schlägt Trittin schon mal Pflöcke ein und warnt vor einer Obergrenze.

Doch Sondierungen und Koalitionsverhandlungen lassen erst einmal auf sich warten. Zunächst wollen CDU und CSU am 8. Oktober bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt eine gemeinsame Linie festlegen und über Konsequenzen aus dem schwachen Ergebnis bei der Bundestagswahl beraten. Eine Achter-Runde soll klären, ob und mit welchen Forderungen die Unionsparteien in mögliche Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis gehen. Die CSU pocht auf einen Kurswechsel der Union, will nach dem Wahldebakel nicht zur Tagesordnung übergehen und "die rechte Flanke" schließen. Kanzlerin Merkel komme "langsam zur Einsicht", soll Seehofer nach einem Gespräch mit Merkel gegenüber Parteifreunden erklärt haben.

Für die CDU werden neben Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel Unionsfraktionschef Volker Kauder, Kanzleramtsminister Peter Altmaier und Generalsekretär Peter Tauber mit am Tisch sitzen. Auf CSU-Seite nehmen neben Parteichef Seehofer Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Spitzenkandidat Joachim Herrmann und Generalsekretär Andreas Scheuer teil. Seehofer steht unter Druck, schließlich gibt es Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen, und auf dem Parteitag der Christsozialen Mitte November soll über seine politische Zukunft entschieden werden. Warten auf die Union - droht jetzt erst eine Hängepartei und dann eine quälend lange Koalitionssuche? "Alle sind gut beraten, eine monatelange Hängepartie zu vermeiden. Der Koalitionsvertrag sollte spätestens bis Weihnachten stehen", fordert Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther im Gespräch mit unserer Berliner Redaktion, der in Kiel mit einem Jamaika-Bündnis regiert.

"Niemand sollte Maximalforderungen aufstellen, die schon im vornherein als Ausschlusskriterien verstanden werden könnten", erklärte Grünen-Chef Cem Özdemir, nur um gleich selbst eine rote Linie zu ziehen. "Eine Obergrenze kann es nicht geben." Auch Kanzlerin Merkel hatte zuletzt im Wahlkampf die CSU-Forderung weiter abgelehnt. "Meine Haltung zu der Obergrenze ist ja bekannt, dass ich sie nicht will. Ich möchte sie nicht. Garantiert", so die CDU-Chefin. Unterstützung erhält Merkel von Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Günther. "Es macht keinen Sinn, vor Verhandlungen rote Linien zu ziehen. Das gilt auch für die Obergrenze", erklärte der CDU-Politiker. Die Sondierungsgespräche müssten ohne Vorbedingungen geführt werden.

Die FDP sieht unterdessen in einem Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild einen möglichen Kompromiss auf dem Weg zur Jamaika-Koalition. Dabei gelte es klar zwischen dem Grundrecht auf Asyl für politisch und religiös Verfolgte, dem zeitlich befristeten Schutz für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention und gesteuerter Einwanderung mit einem Punktesystem zu unterscheiden. Auch die Grünen und Teile der CDU sind für eine solche Regelung.

Ob Flüchtlingspolitik, Steuern und Rente oder die Forderung der Grünen nach dem Ende des Verbrennungsmotors - die Differenzen und Gegensätze zwischen Schwarz, Gelb und Grün sind groß. Die von der CSU geforderte Obergrenze könnte jedoch zum Knackpunkt für eine Jamaika-Koalition werden.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther sieht sein Jamaika-Bündnis dort als Vorbild auch für Berlin: "Bei uns konnte jeder seine Positionen durchsetzen, für die er gewählt worden ist. Das empfehle ich auch für die Bundesebene: Nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner suchen, sondern sich gegenseitig auch mal Erfolge gönnen!", rät er für die bevorstehenden Gespräche.