Ingolstadt
Hilfe von der ersten Minute an

Ab 1. Oktober gibt es auch in der Region 10 den Krisendienst Psychiatrie für Patienten und Angehörige

28.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:25 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Die Rufnummer (01 80) 6 55 30 00 dürfte ab Sonntag für viele Menschen mit psychischen Problemen und ihre Angehörigen zum Rettungsanker in plötzlichen Notlagen werden: Zum 1. Oktober startet auch in der Region der Krisendienst Psychiatrie, der damit in Oberbayern nun flächendeckend agiert.

Gestern gab es zur Mittagszeit bei den Caritas-Wohnheimen und Werkstätten an der Telemannstraße so etwas wie eine historische Stunde: Vertreter von Kliniken, Sozial-Psychiatrischen Diensten und niedergelassenen Ärzten aus Ingolstadt und den drei umliegenden Landkreisen unterzeichneten in Anwesenheit von Bezirkstagspräsident Josef Mederer einen Kooperationsvertrag für den neuen medizinischen Service, dessen Leitstelle fortan auch in der Region täglich zwischen 9 und 24 Uhr unter der oben genannten Nummer zu erreichen sein wird. Die Anrufer zahlen lediglich die geringen Telefongebühren; die fernmündliche Beratung und womöglich folgende Sofortmaßnahmen von psychiatrischem Fachpersonal sind für die Hilfesuchenden kostenlos.

Mit dem Start des Krisendienstes in der Region wird in Sachen psychiatrischer Soforthilfe die letzte Lücke in Oberbayern geschlossen. Im Südwesten und Südosten des Regierungsbezirks werden seit rund eineinhalb Jahren nach Einschätzung der Organisatoren bereits sehr gute Erfahrungen mit dem Notrufsystem gemacht. In München, wo die Initiative ihren Ausgangspunkt hatte, besteht dieser Service bereits seit gut zehn Jahren.

Insgesamt ist der Bezirk Oberbayern, der nach Angaben von Josef Mederer nunmehr jährlich 7,4 Millionen Euro für diesen Dienst aufbringt, mit dem Angebot ein einsamer Vorreiter: Es gibt nach Darstellung der Verantwortlichen bundesweit nichts Vergleichbares. Mederer sprach gestern von einer "Herkulesaufgabe", die der Bezirk dank breiter politischer Unterstützung auch aus dem Landtag geschultert habe. Man sei mit den Haushaltsmitteln des Bezirks ja sparsam, "aber hier geht es um Schicksale von Menschen".

Im Laufe seines Lebens wird laut Statistik etwa jeder Dritte von einer psychischen Krise heimgesucht, die er aus eigener Kraft nicht bewältigen kann. Der Münchner Psychiater Michael Welschehold, Ärztlicher Leiter des Krisendienstes in der Landeshauptstadt und einer der maßgeblichen Initiatoren des Projektes, sprach deshalb gestern in einer Pressekonferenz vor der Vertragsunterzeichnung von einem "häufigen Phänomen", bei dem Betroffene, aber auch ihre Angehörigen oder nahen Bekannten oft ein "enormes Maß an Hilflosigkeit und Überforderung" erlebten.

Laut Welschehold zeigen die nun schon längeren Erfahrungen mit dem Krisendienst in München, dass es enorm wichtig ist, den Anrufern (bislang im Bezirk etwa 1500 im Monat!) gleich von der ersten Minute an mit Verständnis und vor allem Kompetenz zu begegnen. Etwa 80 Prozent der am Telefon auflaufenden Fälle lassen sich demnach bereits durch fachkundige Ratschläge der speziell geschulten Mitarbeiter in der Telefonzentrale quasi in Fernberatung lösen oder in die richtigen Bahnen (Vermittlung an Fachärzte, Therapeuten oder Kliniken) lenken.

In komplizierten, hochakuten Fällen, die nicht selten mit Suizidgefahr für die Erkrankten einhergehen, bietet der Krisendienst allerdings regelrechte Interventionsteams an, die sich - nun auch in der Region vertraglich geregelt - als Eingreiftruppe bereithalten und flugs auch Hausbesuche machen können. Durch diese schnelle, aber diskrete Hilfe daheim könne womöglich die bislang in solchen Fällen übliche Zwangseinweisung von Kran-ken, die stets mit polizeilicher Begleitung erfolgt, unterbleiben. Die damit oft verbundene Stigmatisierung der Betroffenen und ihrer Familien, so Josef Mederer, könne so weitgehend vermieden werden.