Nürnberg
Nürnberg will noch braver werden

Bringt die nächste Phase der Umbauarbeiten am Königstor das Ende der Subkultur in der Metropole?

14.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:39 Uhr

Nürnberg (DK) Im "KOMM" am Königstor im Herzen Nürnbergs ging es bis zum Ende der 90er-Jahre wild zu. Danach rollten die Bagger an. Im Sommer 2018 sollen nun die Arbeiten zum letzten Bauabschnitt beginnen. Manche befürchten schon jetzt das Ende der Subkultur in der Metropole.

Wo früher Punks mit bunten Haaren saßen, gehen heute tagsüber meistens Touristen ein und aus. Die Stadt Nürnberg hatte Ende der 90er beschlossen, das Künstlerhaus gegenüber dem Hauptbahnhof in drei Bauabschnitten zu renovieren. Seitdem hat sich viel verändert. Nicht alle sagen zum Guten. Nun steht der dritte und letzte Bauabschnitt vor der Tür. Und manche fürchten, dass nach der Renovierung das bunte Großstadtleben aus der Stadt endgültig verschwinden wird.

Wild ist es zugegangen im Künstlerhaus, als die Halbruine noch unter dem Namen "Kommunikationszentrum" firmierte und bundesweit unter der Abkürzung "KOMM" für Schlagzeilen sorgte. Seit der Mitte der 70er-Jahre durften sich die Künstler und Kreativen in dem Gebäude unter eigener Regie austoben. Selbstverwaltung lautete das Zauberwort, das in der "Massenverhaftung von Nürnberg" im Jahr 1981 kulminierte. Damals standen sich Polizei und Hausbesetzer gegenüber. Nach einer Filmvorführung über Helden der holländischen Hausbesetzerszene zogen 150 Personen durch die Altstadt. Bei der halbstündigen "Demonstration" wurden sechs Schaufenster eingeschlagen und mehrere Autos beschädigt. Es war die Zeit von Franz Josef Strauß. Aufmüpfige Franken, die das Häuserbesetzen in Bayern in Mode bringen wollten, wurden von der Polizei gestoppt. 141 meist junge "KOMM"-Besucher wurden festgenommen, darunter die minderjährige Tochter eines amtierenden SPD-Bundestagsabgeordneten.

Später in den 80ern trafen sich Atomkraftgegner in dem Gebäude. Es war zwischen 1906 und 1910 mit Bürgerspenden errichtet worden. Ursprünglich sollten hier die Künstler aus der Frankenmetropole ein schmuckes neues Heim am Eingangstor zur Altstadt mit Gesellschaftsräumen, Festsaal und einer verpachteten Gaststätte bekommen. Die beiden Weltkriege machten die hochtrabenden Pläne zunichte. Nach 1945 blieb eine Halbruine übrig, in der sich die urbane Jugend ab 1974 ausbreitete und neben schlagzeilenträchtigen Demonstrationen vor allen Dingen große Feste veranstaltete. Zwischen den Butzenscheiben im Herzen der Altstadt schlug im "KOMM" das wilde Herz der Metropole. Hier gab es Punks und keine Bratwürste.

Bis die Stadt unter dem seinerzeit neuen CSU-Oberbürgermeister Ludwig Scholz das Ende der Selbstverwaltung und die Renovierung des Komplexes in drei langen Bauphasen beschloss. Zunächst wurde der mittlere Teil für rund 15 Millionen Mark runderneuert. In diesem Teil des Hauses hatte der Krieg die meisten Wunden hinterlassen. Hier fehlte sogar die Hälfte des Daches. Mit dem Bau des vorgelagerten Glasbaus im zweiten Bauabschnitt zwischen 2002 und 2004 wurden die neuen Zeiten für alle deutlich sichtbar. In den Glasbau zog die Tourist-Information der Stadt ein. Die Punker verschwanden im Bahnhof.

Seitdem wirkt das Tor zur Stadt mit dem Einbruch der Dämmerung erstaunlich trostlos, verschlafen und provinziell. Nur im hinteren Teil des Gebäudes geht noch die Post ab. Gleich hinter der mit vielen Graffiti verzierten alten Seitentür veranstaltet der "Musikverein" noch viele Feste und Konzerte. Im Sommer 2018 ist damit Schluss - für zwei Jahre. Die Stadt will mithelfen, eine Ausweichstätte für den Verein zu suchen, und verspricht grundsätzlich, dass durch die Renovierung "keine Champagner-Ästhetik" entstehen werde. Alles soll so bleiben, wie es ist. Nur besser soll es werden. Mit mehr Technik und mehr Komfort. Der "Musikverein" soll für seine Veranstaltungen einen ganz neuen Raum unter dem alten, von der Stadtmauer umrandeten Innenhof mit dem Biergarten bekommen. Eigentlich eine gute Sache, sagt sogar der "Musikverein".

Allerdings befürchtet der Verein, dass dem alten Künstlerhaus "jegliche Ecken und Kanten" genommen werden und es für ein gutbetuchtes Publikum glattgebügelt wird. Die Stadt hält dagegen und verspricht stattdessen "ein Haus der Kontraste". Viele bleiben trotzdem skeptisch. Der "Musikverein" fürchtet, dass die manchmal störende und häufig zu laute Jugend zukünftig an den Rand gedrängt werden soll. Nicht wenige dürften diese skeptische Haltung gegenüber der Stadt teilen. Nürnberg ist für vieles bekannt. Nur nicht dafür, dass die Verwaltung mehr Freiheit im Kultur- oder Nachtleben fördern würde.

Viele Nürnberger würden sich freuen, wenn es der Stadt tatsächlich gelingen würde, aus dem Haus mehr als eine Kombination aus Volkshochschule und Jugendzentrum zu machen. Nürnberg, da sind sich alle einig, hätte es verdient.